Abteilung fr Germanistik Philosophische Fakultt Universitt Zagreb
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Projekt: Erinnerung und Literatur. Tendenzen in der... Drucken

Titel des Projekts: Bilaterales deutsch-kroatisches Forschungsprojekt "Erinnerung und Literatur. Tendenzen in der Geschichtsdichtung und in der Literatur der Erinnerung des 20. Jahrhunderts"

Beschreibung und Ziele: Die germanistischen Institute der Universitäten Köln und Zagreb gehen ein bilaterales deutsch-kroatisches Forschungsprojekt zum Thema "Erinnerung und Literatur: Tendenzen in der historischen Dichtung des 20. Jahrhunderts" an. Im Vordergrund dieses germanistischen, zugleich auch komparatistisch ausgerichteten Forschungsprojekts sollen folgende thematische Schwerpunkte stehen:
Auszugehen wäre in erster Linie von der vielfältigen Problematik der Realitätsbezogenheit mancher literarischer Gattungen, einer Problematik, die sich im vorliegenden Fall einengen lässt vor allem auf die Aspekte der Beschaffenheit und Verwertbarkeit von Realitätspartikeln (Stoffen), die je nachdem, ob es sich um einen autobiographisch geprägten Text oder um einen historischen Roman oder ein historisches Drama handelt, durch die kollektive Überlieferung, nationale oder sonstige Mythen, durch die Geschichtsschreibung, bzw. in autobiographischen Texten durch Sprache und Schrift, Briefe und Tagebücher, Dokumente, Geschichtsbücher, Lexika, Gespräche, aber auch Schweigen, Fotos etc bzw. bereits auf unterschiedliche Art vorgeprägt sind. Die im Rahmenthema enthaltenen spezifischen Blickpunkte betreffen einmal die Erscheinungen der Kontinuität oder Diskontinuität in den Stilphasen des 20. Jahrhunderts. Wie wandelt sich die literarische Modellierung von Geschichtserfahrung (oder Vorurteilsstruktur) unter dem Einfluss von Realgeschichte? Was für eine Rolle spielen dabei utopische oder kritisch-diagnostische Geschichtsprojektionen aus dem Bereich der Philosophie und Politik? Andererseits gilt es als es bei der Untersuchung von Erinnerungsliteratur, die moderne Gedächtnisforschung mit der Erzählanalyse und einer Diskussion der Darstellungsmedien zu verbinden.
Einen weiteren Problemkreis erschließt die Frage, wie sich bestimmte Gattungsunterschiede auf die Thematisierung von Geschichte auswirken. Inwiefern ist es möglich, von getrennten Wegen des Geschichtsdramas und des Geschichtsromans im 20. Jahrhundert zu sprechen? Zu überprüfen wäre jedenfalls die in der Literaturkritik gelegentlich vertretene Ansicht, dass sich die Krise der traditionellen Geschichtsmuster im Bereich des Romans radikaler ausgewirkt habe als im Drama, was zu einem drastischen Bedeutungsverlust in der zweiten Jahrhunderthälfte geführt habe. Sollte diese Auffassung stichhaltig sein, wäre der Frage nachzugehen, in welchem Maße dieser Vorgang mit Probleme der Narration bzw. der Dramatisierung zu tun hat. Auffallend ist andererseits die Tendenz zur Abstraktheit, die im Drama des Jahrhunderts viel deutlicher zur Geltung kommt als in Roman und Novelle. Dem Drama eröffnen sich jedenfalls Möglichkeiten, Geschichte in welthistorischen Längsschnitten zu erfassen, gleichsam Weltgeschichte in Weltliteratur zu verwandeln. Das vergangene Jahrhundert bietet repräsentative Beispiele dafür. Auffällig ist ferner die Neigung, zu historischen Dramen der Vergangenheit moderne Kontrafakturen zu schreiben, d.h. die Vergangenheit gleich in doppelter Brechung zu vergegenwärtigen.
Andererseits muß im Genre ‚Erinnerungsliteratur‘ unter Einbeziehung der Ergebnisse der Gedächtnisforschung die Möglichkeiten der Vergangenheitsrekonstruktion erörtert werden. Der Blick auf die Rolle der ‚Generationen‘ in diesem Kontext ist unabdingbar und muß theoretisch abgesichert werden. So könnte das gegenwärtig diskutierte Genre des Familienromans weder als Roman noch Autobiographie, sondern als ein hybrides dokumentarisches Genre betrachtet werden. Es muß erörtert werden, woher sich - im Gegensatz zu Geschichtsroman und Geschichtsdrama - diese Skepsis gegenüber der narrativen Vergangenheitsbewältigung in dem natürlichen Erinnerungsprozeß schreibt.
Da im literarischen Umgang mit Stoffen und Motiven der Grenze zwischen Historie und Zeitgeschichte fließend ist, sollten zeitgeschichtliche Aspekte in der Themenwahl nicht ausgeklammert werden. Mit der Berücksichtigung aktueller Erfahrungen treten die im Punkt 1 erwähnten Probleme der Beziehungen zwischen Literatur und Realität wiederum deutlicher in den Vordergrund.
Das Projekt soll vor allem auf methodologischen Konzepten des "Kulturgedächtnisses", der "Kulturerinnerung" sowie der modernen Gedächtnisforschung gründen, Konzepten, die die Erforschung der Phänomene des Gedächtnisses, der Erinnerung und des Vergessens in literarischen und nichtliterarischen Texten, Diskursen und Medien ermöglichen. Dabei wird man davon ausgehen, dass Gedächtnis und Erinnerung auch eine entscheidende Rolle im Ausbau und Aufrechterhaltung der individuellen und gesellschaftlichen, daher auch nationalen Identität spielen. 

Forschungsstand: Vorausgesetzter Forschungsstand: "Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Berlin, New York: de Gruyter 2002. Ferner auch die einschlägigen Artikel und die Bibliographie im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. II, Berlin, New York 2000 (zur historischen Dichtung) sowie Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart, Weimar 2004 (zu den Fragen der Gedächtnis- und Erinnerungskultur).
 
Bereits durchgeführte Vorbereitungen für das gemeinsame Projekt: An den beiden Instituten besteht eine lange Tradition in der Erforschung der historischen Dichtung - erinnert sei an verschiedene Publikationen der renommierten Germanisten Walter Hinck (Köln) und Viktor Žmegač (Zagreb). In der neuren Zeit wurde von Daniel Fulda (bis April 2007 Köln, seit Mai 2007 Halle) der eingangs erwähnte Sammelband herausgegeben, von den Zagreber Forschern wiederum der Sammelband Tendenzen im historischen Drama und Roman des 20. Jahrhunderts (hg. v. Marijan Bobinac u.a., Zagreb 2004) veröffentlicht.
Auf der kroatischen Seite ist auch das vom kroatischen Wissenschaftsministerium finanzierte Forschungsprojekt Gedächtnis und Identität. Der kroatisch-deutschsprachige Kulturtransfer zu erwähnen, welches verschiedene Aspekte des Kulturtransfers, der Erinnerungskultur und der Identitätsbildung in Mitteleuropa zum Thema hat (Leiter: Marijan Bobinac).
In Köln wird für den Dezember im Rahmen des Jahres der Geisteswissenschaften eine Vortragsreihe/Symposion zum Thema "Sprache, Literatur und Erinnerung: Autobiographie, Familienroman und Geschichte(n)" vorbereitet, das wie folgt beschreiben wird: Erinnerung stellt den einzelnen in die Kette der Generationen und konstituiert, so die traditionelle Auffassung, seine Identität. In der modernen Gedächtnisforschung unterscheidet man das individuelle Gedächtnis, das kommunikative und das kollektive Gedächtnis von Familien und Gruppen sowie das kulturelle Gedächtnis. Mündliche Überlieferung steht neben schriftlicher, gedruckter und (audio)visueller Tradierung. Erinnerung und Gedächtnis dienen der Ordnung der Vergangenheit, der Selbstvergewisserung, der Zukunftsplanung. Zugänglich wird die Erinnerung durch Sprache und Erzählung, Erzählung aber folgt bestimmten Mustern: Werden Zeitgeschichten wie Lebensgeschichten erzählt, ordentlich nacheinander, Ursache und Wirkung miteinander verbindend, sozusagen von der Wiege bis zur Bahre wie in der traditionellen Biographik oder dem Bildungs- und Entwicklungsroman? Die moderne Autobiographik wie der moderne Familienroman der Gegenwart kennen jedoch die Schwierigkeiten beim Schreiben: Die Unsicherheit der Erinnerung, die Reflexion von Wahrnehmungsmustern, die das Erinnern beeinflussen, die Versprachlichung von oft bildhaften Erinnerungsmomenten, all das hat zu einer Multiperspektivität, zu einer symbolisierenden Schreibweise geführt; denn Erzählen von Geschichte oder Geschichten ist immer eine ästhetisch strukturierte Suche nach uns selbst und unseren Wurzeln - mit den Mitteln der Sprache. Die Literaturwissenschaft, die sich mit solchen Fragen beschäftigt, kann sich wie die Biowissenschaften als Lebenswissenschaft bezeichnen: Denn Literatur ist ein Speicher-, Reflexions- und Transformationsmedium nicht nur für historisches, sondern für Lebenswissen überhaupt. Am Ende des Jahres der Geisteswissenschaften dürfen solche Grundsatzfragen noch einmal diskutiert werden: an fiktionalen und nonfiktionalen Biographien und Autobiographien und mit Literaten und Literaturhistorikern. 
Einen wichtigen Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen den Kölner und Zagreber Germanisten soll auch der im März d.J. geschlossene Partnerschaftsvertrag zwischen der Philosophischen Fakultät der Universität Köln und der Philosophischen Fakultät der Universität Zagreb bieten, der von den beiden Leitern des bilateralen Projektes initiiert wurde und verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit in Lehre und Forschung vorsieht.
 
Darstellung der Forschungstätigkeit des/der Projektleiter und aller kroatischer Projektteilnehmer: vgl. Angaben auf der Homepage der Abteilung für Germanistik zu Marijan Bobinac, Svjetlan Lacko Vidulić, Milka Car, Alma Kalinski, Rikard Puh, Ivana Perica
 
Teilnahme der Jungwissenschaftler: Zagreb: Milka Car, Alma Kalinski, Rikard Puh, Ivana Perica; Köln: Ingo Breuer, Manuela Günter, Antje Roeben