Department for
German Language and Literature
Faculty of Humanities and Social Sciences University of Zagreb
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Eine Dolmetscherin erzählt aus ihrem Arbeitsalltag Print

Ein Interview mit Divna Kern-Francetić, Dolmetscherin für Kroatisch-Deutsch und umgekehrt, von Angelina Tomičić


Könnten Sie erst einmal den Unterschied zwischen Simultan- und Konsekutivdolmetschen erklären? Arbeiten Sie mit beiden Techniken?

Ja, das tue ich, wobei ich wesentlich lieber simultan dolmetsche als konsekutiv. Beim Simultandolmetschen sitzt man hinten in der Kabine, arbeitet mit einer Simultandometsch-Anlage und ist mit Kopfhörern und Mikrophon ausgestattet. Sobald der Redner das erste Wort ausspricht, fängt man an zu übersetzen, obwohl man noch nicht weiß, wie der Satz weitergeht. Dies ist besonders schwierig, wenn man aus dem Deutschen übersetzt, da man die Verben meistens antizipieren muss, man übersetzt also und kann erst gegen Ende des Satzes überprüfen, ob das stimmt oder ob später noch eine Negation kommt, was die Bedeutung vollkommen verändern würde. Für die Zuhörer, die nicht viel von unserem Beruf verstehen, ist diese Art zu Dolmetschen etwas viel wertvolleres, sogar schwierigeres. Sie sind regelrecht fasziniert. Ihrer Meinung nach hört man sich beim Konsekutivdolmetschen bloß ein paar Sätze an, notiert sie und übersetzt dann. Dies stellt keine große Kunst in den Augen der Laien dar, doch für mich, und für die meisten meiner Kolleginnen, ist das viel schwieriger, weil man hier neben dem Übersetzen auch noch alles memorieren muss. Wenn man dolmetschen studiert, lernt man, wie man sich das notieren kann. Ich habe kein Dolmetschinstitut besucht, habe also weder Konsekutiv- noch Simultan-Dolmetschen gelernt. Daher musste ich mir selbst ein solches System entwickeln. Jede Kollegin geht da anders vor. Ich schreibe selber z. B. sehr viel mit, manchmal sogar ganze Sätze, andere Kollegen notieren nur das Wichtigste.

Es gibt ja auch spezielle Notierungstechniken in Form von Strichmännchen und Symbolen. Wenden sie diese auch an?

Bevor ich bei einem konkretem Anlass dolmetsche, versuche ich mir die Unterlagen anzuschauen, um zu sehen, welche wichtigen Begriffe vorkommen werden, und denke mir dann Abkürzungen für diese aus. Ein paar Notierungstechniken benutze ich also doch, die sind aber ganz unprofessionell. Eine Kollegin war vor kurzem auf einem Seminar zur Weiterbildung von Dolmetschern in Deutschland, dort hat sie viel Neues erfahren.. Obwohl sie keine professionelle Ausbildung hat, ist sie sehr zufrieden von diesem Seminar zurückgekommen. Sie hat dort gesehen, dass sie eigentlich sehr gut dolmetschen kann und überhaupt nicht schlechter ist als andere, die weltbekannte Institute besucht haben.

Sie sagten, Sie hätten keine Institution besucht. Wie haben sie sich also ausgebildet?

Ich habe Germanistik studiert, genauer gesagt: Deutsch und Englisch. Später habe ich dann ziemlich lange unterrichtet, zuerst in einer Fremdsprachenschule und dann an einer Oberschule. Professor Ivir, der am Lehrstuhl für Anglistik in Zagreb unterrichtet und den Dolmetscherverein gegründet hat, hielt an meiner Schule einen Vortrag über das Dolmetschen. Ganz informell habe ich ihn beim Kaffe gefragt, ob ich nicht mal probieren könne zu dolmetschen. Er antwortete mir, ich solle beim nächsten großen Kongress einfach vorbei kommen, dort könnte ich mich dann in die Kabine setzen, es also einfach ausprobieren und sehen, ob ich das kann oder nicht. Ich glaube, dass es meistens so ist: entweder klappt es auf Anhieb oder eben nicht. Man muß zunächst diese Begabung haben, und dann kann man selbstverständlich noch viel dazu lernen. Ich glaube, es gibt eine besondere Begabung für das Simultandolmetschen, und die zeigt sich vor allem darin, dass man sehr schnell denken kann. Also, kurz gefaßt: eine gewisse Begabung ist die Voraussetzung. Ob man diese hat, kann man schnell überprüfen. Hierbei würde ich darauf achten, es mit einer Sprache auszuprobieren, die man wirklich gut beherrscht.

Wenn jetzt einer von uns Dolmetscher werden will und sich auf die Probe stellen möchte, kann er also einfach zum Dolmetscherverein gehen?

Ja, aber in diesem Verein ist ein Diplom schon Voraussetzung. Eine große Allgemeinbildung ist sehr wichtig, daher ist es von Vorteil ein bestimmtes Fach studiert zu haben. Insbesondere in einem so kleinem Land wie Kroatien, wo man sich nicht einfach spezialisieren kann, sondern alles mögliche übersetzen muß, von Tiermedizin über Hühnerzucht, Thomas Bernhard, Wirtschaft, Verfassungsrecht, Maschinenbau bis hin zur Zahnmedizin. Je mehr man vom Leben weiß, um so leichter findet man sich hierbei zurecht.

Sie bereiten sich sicherlich auch jedes Mal vor.

Selbstverständlich. Und hierbei ist es besonders wichtig, wenn man mit Spezialgebieten arbeitet, einen Fachmann zu haben, der beide Sprachen beherrscht. Da solche Leute ihr Fach verstehen und auch das Vokabular beherrschen. So kann man sich gut vorbereiten. Ich habe schon nächtelang durchgepaukt, das geschieht wenn man zu einem Kongress fährt, wo man das Fach nicht beherrscht. Alles ist neu, also muss man die Nacht über lernen und tagsüber dolmetschen, und dies zwei, drei Tage lang. Aber bei einigen Themen hat man den Wortschaft schnell gelernt, bei Wirtschaft z. B. bereite ich mich kaum noch vor, auch Politik ist oft sehr einfach zu übersetzten. Oft weiß man schon, was gesagt werden wird und könnte dort schon fast aus dem Stegreif übersetzten. Ich selber übersetze gerne Technik, insbesondere Maschinenbau, weil hier das Vokabular sehr begrenzt ist und in kurzen Sätzen gesprochen wird. Doch Maschinenbau gibt es heutzutage kaum noch.

Kommen wir auf die Frage zurück, wo man sich auf die Probe stellen kann.

Früher war das alles ganz klar, es gab in Kroatien einen Dolmetscherverein, also ging man da hin, bekam einen Mentor und musste bei ein, zwei Kongressen hospitieren. Jetzt, in der freien Marktwirtschaft, arbeiten viele Dolmetscher freiberuflich, daher wüsste ich keine genaue Adresse zu nennen, wo man sich am besten meldet.

Darf ich fragen, was man als Dolmetscher verdient?

Wir haben einen Festpreis von 1800 Kuna brutto, für sechs Stunden pro Tag, alles was zeitlich darüber liegt wird als Überstunden verrechnet. Hierbei werden allerdings 44% abgezogen, und dann beibt nicht mehr so viel übrig. Denn man muss die Vorbereitungszeit in Betracht ziehen und auch daran denken, dass man nicht jeden Tag arbeiten kann. Das wäre zu anstrengend. Allerdings arbeiten manche Kollegen auch zu Dumping-Preisen. Viele der jüngeren Kolleginnen haben eigene Firmen gegründet und stellen sich selbst Rechnungen aus, wobei sie dann einen höheren Prozentsatz einbehalten können.

Arbeiten sie auch in Deutschland oder Österreich oder nur in Kroatien?

Ich persönlich arbeite vorwiegend in Kroatien, es kommt hin und wieder mal vor, dass ich auch mal in Österreich arbeite. Als Dolmetscher reist man aber sehr viel, bei mir ist es meistens nur Dubrovnik oder Opatija. Manchmal frage ich mich, wer hier wen bezahlen sollte. Das ist die schöne Seite unseres Berufs.

Gibt es denn auch Nachteile?

Ja, vor allem für die jüngeren Kolleginnen, die selbständig arbeiten, denn diese müssen immer schauen, dass sie auch genügend Aufträge ins Haus bekommen, um genügend Geld zu verdienen und auch für das Alter vorzusorgen. Es herrscht also eine gewisse finanzielle Unsicherheit. Eine Sache, die mir lange Schwierigkeiten bereitet hat, ist, das man zwar eine Fertigkeit beherrscht, die von vielen bewundert wird, aber dennoch eigentlich nur alles nachplappert, was da vorne erzählt wird, und z. B. keine eigene Meinung zum Thema äussern kann. D. h. mir fehlt ein gewisses persönliches Engagement. Doch damit habe ich mich nun abgefunden und engagiere mich anderweitig. Ich leite auch eine Jugendorganisation für politische Bildung. Dort bin ich wirklich ich selbst und spreche in meinem eigenen Namen. Aber soweit ich sehe haben die jungen Kolleginnen keine Probleme mit dem wiederhohlenden Charakter unseres Handwerks.

Was macht man, wenn man die Redner nicht versteht, erst mal akustisch und dann auch inhaltlich?

Wenn es akustische Schwierigkeiten sind, ärgert man sich und versucht es mit den Technikern zu lösen. Oft treten auch Schwierigkeiten bei Dialekten auf. Da man sich aber vorbereitet und auch weiß, worum es geht, klappt das meistens schon.

Könnten Sie eine Ausbildungsstätte für Dolmetscher in Deutschland oder Österreich empfehlen?

Ich selber habe mir jahrelang gewünscht, für ein Semester nach Graz an das Dolmetschinstitut gehen zu können, aber inzwischen glaube ich nicht mehr, dass das so wichtig ist. Es reicht meiner Meinung nach völlig aus, wenn man hier Germanistik studiert und dann - wie eine meiner Kolleginnen - nach Studienabschluss ein Praktikum an einem Dolmetschinstitut in Deutschland oder Österreich macht.

Was macht einen guten Dolmetscher aus?

Meiner Meinung nach sind das vor allem die Sprachkenntnisse. Auch die Intonation ist wichtig; es gibt z. B. Dolmetscher, die singen, dies wird wohl eine Art Schutz sein, denn wenn man so vorgeht, ist weder klar wo ein Satz anfängt noch wo er aufhört. Ich schätze es sehr, wenn man lebhaft aber dennoch ganz natürlich spricht. Das Sprachregister ist auch wichtig, ich denke, man muss sich an das Vokabular des Redners anpassen und nicht immer dasselbe Sprachregister, z. B. ein blumiges Bühnendeutsch, verwenden. Doch nicht alle Dolmetscher passen sich an.

Beim Simultandolmetschen wird immer im Team gearbeitet. Wie sieht es mir der Aufteilung der Arbeit aus, wird das vorher festgelegt oder sagt man, während man dolmetscht: "Mach du das mal!"?

Man wechselt sich nach einer kurzen Zeit ab. Diese Zeitspanne hängt vom persönlichem Geschmack der Dolmetscher ab. Hierbei sind 20 Minuten der Durchschnitt, manche Kollegen dolmetschen auch 25 Minuten, was mir persönlich viel zu viel ist. Ich selber mache am liebsten 15 Minuten, dann werde ich auch nicht müde. Bei Referaten muß man sich einarbeiten, daher erhält man diese zumeist ein paar Tage vorher. Allerdings kommt es gerade bei kroatischen Rednern vor, dass diese die Referate spät, d. h. nur einen Tag vor dem Kongress oder sogar überhaupt nicht abgeben. Ich wiederhole, bei Referaten muss man sich einarbeiten, daher haben wir konkret beim Thomas-Bernhard-Symposium auch jede mal 45 Minuten gedolmetscht, um somit ein ganzes Referat mit anschließender Diskussion zu erfassen.

Und zum Schluss noch eine Frage: gab es in Ihrem Arbeitsalltag auch witzige Situationen?

Bei einem Auftrag ist mir einmal etwas Witziges passiert. Bei der Dolmetschanlage gibt es in der Mitte einen Knopf, der heisst Husteknopf, da drückt man drauf, wenn man nur kurz unterbrechen will. Meine Kollegin und ich hatten gerade wieder etwas Dummes übersetzt, also drückte ich auf den Knopf und sagte zu ihr: "Der redet aber reinen Blödsinn!". Dann ließ ich den Knopf los und dolmetschte weiter. In der Pause kam ein Mann aus dem Publikum auf uns zu und sagte: "Dem haben sie es aber gegeben, das war ja wirklich der reinste Blödsinn." Später haben wir dann den Husteknopf ausprobiert und festgestellt, dass dieser überhaupt nicht funktionierte! Komischerweise hat aber nur dieser eine Mann reagiert.