Abteilung fr Germanistik Philosophische Fakultt Universitt Zagreb
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Thomas Bernhard-Tage in Zagreb Drucken

EIN ÜBERBLICK ÜBER DIE THOMAS BERNHARD-TAGE IN ZAGREB
(VON MIRTA TUTIĆ)

Auf den vorliegenden Seiten berichten Germanistikstudent/innen über die Thomas Bernhard-Tage in Zagreb. Es geht um die Resultate eines studentischen Projekts, dass im Rahmen des Literaturseminars Österreichische Dramatik seit 1988, unter der Leitung von Svjetlan Lacko Vidulić, durchgeführt wurde.
Die Thomas Bernhard-Tage fanden vom 4. bis 8. November 2003 statt, als Koproduktion von zahlreichen österreichischen und kroatischen Institutionen. Dazu gehören ETK Donadria Wien, Kroatisches P.E.N. Zentrum, Goethe-Institut Zagreb, Theater Gavella und Philosophische Fakultät der Universität Zagreb. Die Tage wurden vom Österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur und dem Österreischen Kulturforum Zagreb unterstützt. Das Ziel der Tage war, die Rezeption Bernhards in Kroatien zu fördern.
Die einleitenden Ereignisse waren eine Pressekonferenz und eine Vorlesung von Sead Muhamedagić über Leben und Werk Thomas Bernhards (im Österreichischen Kulturforum), die beide am 4. November stattgefunden haben. Die Inauguration der Tage wurde im Theater Gavella am 6. November mit der Eröffnung einer Ausstellung von Bernhard-Fotografien und Manuskripten und mit einer Lesung aus seinem Stimmenimitator begleitet (die Interpreten: Nikolaus Kinsky und Sreten Mokrović). Es war interessant zu sehen, dass ein Mensch, der sich in seinem Werk beinahe als Menschenhasser präsentiert, auch gegessen, getrunken und sogar gelacht hat...
Wenn ich über das Zentralereignis, das Symposium im Goethe-Institut nachdenke, fällt mir die ironische Aussage eines Kritikers ein, die ursprünglich den Neuen Historisten galt. Er hat nämlich gemeint, sie könnten ihre Jahresversammlung in einer Telefonzelle abhalten. In unsere Umstande übertragen ware dies noch schlimmer, da die kroatischen Telefonzellen wesentlich kleiner als die Westeuropäischen sind...
Das Symposium fand am 7. und 8. November im Goethe-Institut statt und präsentierte Referate, Gespräche und Diskussionen, wobei Bernhards Werk aus vielen Blickwinkeln betrachtet wurde. Interessant und nützlich, Deutungen und Meinungen von Menschen zu hören, die sich eingehend mit Bernhards Texten beschäftigt haben, aber auch zu betrachten, wie so ein Ereignis in Kroatien organisiert und durchgeführt wurde. Die Beiträge des Symposiums erscheinen hoffentlich bald in einem Sammelband.
Der Höhepunkt der Tage sollte die Aufführung von Bernhards Heldenplatz im Gavella Theater sein. Die Premiere der kroatischen Übersetzung fand am 7. November statt. Über die Auswahl des Dramatextes, der Bernhard dem kroatischen Publikum vorstellen sollte, wurde im Symposium lebhaft, wenn auch nicht zu heftig diskutiert. Auch uns, die die Aufführung erst später gesehen haben, sind die Gründe für diese Diskussion klar geworden. Um eine (vulgäre? unmögliche? unzulässige?) Lokalisation zu vermeiden, wurde eine Adaption unternommen, die nach Meinung vieler Teilnehmer/innen eine Milderung Bernhards bedeutet.
Was ist geschehen? Um eine Antwort anzudeuten, folge ich dem Referat von Sibila Petlevski, die versucht hat, Bernhards Dramen u. a. im Kontext der moderner Literaturtheorie zu betrachten. Es gibt keine schuldlose, einfache Verschiebung irgendeines Zeichens in eine andere Umgebung; die kroatische Inszenierung von Heldenplatz ist ein brisantes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn ein israelischer Regisseur in einem kroatischen Theater das Drama eines österreichischen Schriftstellers (und zwar Thomas Bernhards!) aufzuführen versucht.
In diesem Projekt kann man unsere Versuche verfolgen, die Prozesse der Umkodierung von Thomas Bernhard in Zagreb zu entschlüsseln. Wer und wie hat das alles organisiert? Gab es Schwierigkeiten bei der Kommunikation? Wer hat den Text übersetzt und herausgegeben? Wie hat die Simultan-Übersetzung im Symposium funktioniert (s. die Seite "Aus dem Berufsleben")? Antworten auf diese Fragen stehen in Form von Interviews, Reportagen und Berichten zur Verfugung. Diesen Texten sind hoffentlich auch die impliziten Bedeutungen, die neuen Repräsentationen Bernhards zu entnehmen. Wir laden Sie herzlich ein, Ihre eigenen zu finden!


 

NIKOLAUS KINSKY - DER HELD AM PLATZ
(IM GESPRÄCH MIT MARTA KLEPO UND TEREZA TEKLIĆ)

Im heutigen Informationszeitalter leben wir in einer Gesellschaft, für die Schnelligkeit und somit auch das Kurzfristige zum neuen Lebensgefühl geworden sind; in der die Menschen von allen Seiten durch medienreife Reality-Shows zugeschüttet werden und in der das Berühmt- und Reichsein zu den neuen Werten gehören. Doch trotz dieser Umstände gibt es auch weiterhin einige unter uns, die in sich die "veralteten" Werte tragen und die im gegenwärtigen Spektakel nicht verlorengegangen sind. Und so einer ist auch Nikolaus Kinsky. Das Ambiente eines Insider-Caffes im Inneren des Gavella Theaters, im Hintergrund die leise gespielte New-Age-Musik und die beständigen Requisiten des Schauspielhauses: eine ideale Kulisse für das Gespräch mit dem angenehmen und in keinem Fall überheblichen österreichischen Schauspieler, der gerade unsere Hauptstadt als Veranstaltungsort für die Thomas-Bernhard-Tage ausgewählt hat. Na dann, willkommen in Kroatien, dem Land der begrenzten Möglichkeiten!

M&T: Wie kam es zu der Idee, die Thomas-Bernhard-Tage zu organisieren?

KINSKY: Die Idee hat erstmal mit Thomas Bernhard nichts zu tun, sondern sie steht im Zusammenhang mit meiner Arbeit. Ich habe eine Organisation, die ETK Donadria, und eine Produktlinie: die Präsentation zeitgenössischer österreichischer Literatur außer Land. Unsere Projekte sind internationale Projekte, es sind immer Teilnehmer aus mehreren Ländern daran beteiligt. Das Ziel ist internationalen Kulturaustausch anzuregen. Und da ich vom Theater komme, ist der Schwerpunkt immer Theater, vor allem die Theaterinszenierung. Manchmal veranlassen wir auch, dass ein Stück übersetzt wird. Und dann gibt es ein begleitendes Programm, dass den Kontext herstellt und somit den Inhalt erläutert, aber auch den Autor darstellt.

M&T: Gab es besondere Organisationsschwierigkeiten, da das ganze Projekt aus verschiedenen Veranstaltungen besteht?

KINSKY: Sicherlich, eine erste Schwierigkeit bestand darin, dass man es hier nicht gewohnt ist, so eine umfassende Präsentation zu haben. Ich habe sehr lange im Theater gearbeitet, wobei wir versucht haben, die Interpretationen von Stücken dem Publikum näher zu bringen, und das kann nur durch Informationen erfolgen. Das war in meiner Theaterarbeit immer wichtig und das bin ich in der Lage anzubieten. Wenn die Leute das annehmen, ist es gut, und wenn nicht, dann ist es schade. Ich bin davon überzeugt, dass diese Art von Präsentation wichtig und gut ist. Präsentationen von Kultur, von Kunst, von kulturellen Inhalten, werden sich in der Zukunft sowieso verändern. Einerseits gibt es immer mehr Events, wo es nur um das Kurzfristige geht, um den Spektakel. Andererseits gibt es aber auch die Notwendigkeit Dinge zu machen, die nachhaltiger sind. Und gerade durch solche Projekte kann ich Nachhaltigkeit erzeugen. Das ist mir wichtig.

M&T: Sind die Bernhard-Tage das erste Projekt in dieser Form oder haben Sie früher schon Ähnliches organisiert?

KINSKY: Ja, ich habe schon mehrere Projekte dieser Art gemacht. Unser letztes Projekt in Zagreb war ein Projekt mit Gerd Jonke. Es war allerdings eine ganz andere Situation, vor allem weil Jonke noch lebt und es möglich war, den Autor hierher zu bringen. Doch Jonke war sicherlich noch weniger bekannt als Bernhard und er gehört auch im deutschen Sprachraum nicht zu den Bekanntesten. Er ist zwar in den Insiderkreisen bekannt und er ist auch sicherlich einer der Besten, aber er ist nicht jemand wie Bernhard oder Turrini, die es verstanden haben, sich besser zu verkaufen. Deswegen war die Zielsetzung bei Jonke ein wenig anders als beim Bernhard-Projekt. Mit Jonke wäre ich nicht hergekommen, um eine Ausstellung zu machen, sondern mir war es wichtig den Autor zu bringen und den Kontakt mit der hiesigen Schriftstellerszene herzustellen. Aber es geht immer um die Theaterinszenierung.
Bei Bernhard war es so, dass ich mit Željka Udovičić, die zu dem Zeitpunkt Dramaturgin war, schon seit längerer Zeit darüber gesprochen habe, etwas Österreichisches in Kroatien zu machen. Da war natürlich Bernhard der absolute Favorit. Wir wollten einen Autor bringen, der im deutschen Sprachraum wirklich absolut bekannt und verbreitet ist und der hier noch nicht so bekannt ist. Für mich ist Bernhard sicherlich derjenige, der am schärfsten und am konkretesten die österreichische Situation darstellt, aber nicht nur die österreichische sondern überhaupt die Situation der deutschsprachigen Kultur. Deswegen habe ich Bernhard gewählt.

M&T: Sind solche Projekte typisch für die Arbeit der ETK Donadria?

KINSKY: Ja, es steht in unseren Statuten, dass der Faktor der Internationalität gegeben sein muss, also: es müssen Teilnehmer aus mehreren Ländern am Projekt beteiligt sein. Wir verstehen uns als ein Laboratorium - es ist ein System, dass einen Schwerpunkt hat und um diesen Schwerpunkt bewegen sich andere Komponenten. Das Einbinden von Lernenden, also von Studenten, von Menschen, die Wissen aufnehmen und damit arbeiten wollen, ist auch ein wichtiger Aspekt.

M&T: Und warum gerade Zagreb? Was ist an der Stadt so besonders, im Vergleich zu anderen kroatischen oder ex-jugoslawischen Städten?

KINSKY: Da kommen natürlich immer verschiedene Faktoren zusammen. Wenn man so ein Projekt organisiert, muss man auf bestehende Kontakte zurückgreifen können, um eine gewisse Sicherheit zu haben. Dadurch, dass ich hier schon was gemacht habe, dass ich den Direktor des Gavella Theater kenne und dass ich mit Željka Udovičić über viele Jahre zusammengearbeitet habe, hat sich das erstmal angeboten.
Aber warum Kroatien und nicht Slowenien, ein Nachbarland? Ich glaube, dass Zagreb Österreich oder Wien viel näher steht, als dies mit Laibach oder Ljubljana der Fall ist. Deswegen auch meine Intention, hier in Zagreb oder Kroatien die Nähe auch weiterhin zu fördern und eine langfristigere Partnerschaft entstehen zu lassen. Es ist so, dass es in Österreich eine sehr große kroatische Gemeinde gibt. Daher sind reale Verbindungen vorhanden, die man einfach aufgreifen muss. Ausserdem spüre ich hier ein unheimliches Potenzial, eine unheimliche Energie. Was hier aber absolut fehlt - das ist Ordnung, etwas, was diese Energien in einer produktiven Richtung bündeln würde. Es erfordert natürlich eine Umstellung jedes Einzelnen und es ist sicherlich eine Frage von Jahren. Für euch ist es einfacher, weil ihr das Andere nicht unmittelbar kennt. Kroatien steht weiterhin am Rande dieses Konglomerats der europäischen Gemeinschaft. Das ist der Unterschied z. B. zu Ungarn. Ungarn ist dem Ganzen ein bisschen näher. Aber das, was weiter entfernt ist und wirklich am Rande ist, interessiert mich einfach mehr, als das, was sowieso schon etwas etablierter ist.

M&T: Aber ist das Projekt nicht nur für einen kleinen Teil des kroatischen bzw. Zagreber Publikums gedacht?

KINSKY: Natürlich, aber man muss irgendwo anfangen. Und man muss erstmal dahin gehen, wo man eine Unterstützung bekommt. Wenn ich so ein Projekt mache, schaue ich, welches die wichtigsten dafür zuständigen Stellen sind, damit das, was wir machen, weitergetragen wird. Also Stellen, die sich damit beschäftigen. Da ist z. B. die Philosophische Fakultät für mich ein ganz wichtiger Anknüpfungspunkt, so wie es auch das Österreichische Kulturforum oder das Goethe-Institut sind.
Mein Ansatz besteht nun darin, diese Körperschaften einzubeziehen und dadurch zu sehen, was vor Ort wirklich gebraucht wird. Es ist immer schwierig aus einem anderen Land zu kommen und etwas in ein Land hineinzutragen, ohne zu wissen, ob die Leute das überhaupt wollen. Ich habe an die Erfahrung mit Gerd Jonkes "Insektarium" angeknüpft, da wir dieses Theaterprojekt auch schon in Zusammenarbeit mit der Fakultät unternommen haben und mir die Kontinuität einfach wichtig ist.

M&T: Was meinen sie, wie wird das kroatische Publikum Berhards "Heldenplatz" aufnehmen? Ob es die historischen Hintergründe des Stückes verstehen wird?

KINSKY: Ich glaube, dass in dem Stück gewisse Reizworte oder Reizbegriffe enthalten sind, die sich auf Österreich beziehen, die aber vielen Leuten zugeordnet werden können. Auch hier würde ich auf die Nähe zwischen Zagreb und Wien hinweisen. Ich glaube, dass es auch in dieser Stadt gewisse gesellschaftliche Strukturen gibt, die denen von Wien sehr ähnlich sind. Deswegen ist es durchaus denkbar, dass das Publikum die Aussagen des Stückes auf ihre Situation übertragen und sich angesprochen fühlen werden.

M&T: Wie haben Sie Bernhards testamentarische Verfügung aufgefasst, dass keine Stücke nach seinem Tod aufgeführt oder publiziert werden dürfen? Gab es Probleme?

KINSKY: Da muss ich etwas richtig stellen. Bernhard hat in seinem Testament festgehalten, dass er nicht möchte, dass seine Stücke in Österreich aufgeführt und seine Schriften publiziert werden. Das bezieht sich ausschließlich auf Österreich und auf österreichische Stellen im Ausland. Bernhards Bruder hat sich mit dem Nachlass beschäftigt und war zusammen mit dem Suhrkamp-Verlag der Meinung, dass man etwas unternehmen müsste, um zu vermeiden, dass Thomas Bernhard gewissermaßen tot geschwiegen wird, weil er es so wollte. Es wurde eine Einrichting geschaffen, sie heisst Thomas Bernhard Privatstiftung. Es ist eine Körperschaft, die zwischen dem Testament, dem letzten Willen Bernhards und dem österreichischem Staat bzw. den österreichischen Kultureinrichtungen steht. Seit der Gründung der Thomas Bernhard Privatstiftung ist es wieder möglich, Bernhard in Österreich aufzuführen, neu zu inszenieren und wieder Bücher zu publizieren.
Diese Frage taucht immer wieder auf: Soll man das respektieren, was Bernhard im Testament verfügt hat oder nicht? Er war nämlich sehr fest in der österreichischen Gesellschaft verwurzelt, er hat in Österreich gelebt. Es ist schon klar, dass man den letzten Willen respektiren sollte. Ich komme nicht aus spekulativen Gründen her, sondern mir geht es darum, dass Thomas Bernhards Werk verbreitet wird. Deswegen auch der Ansatz, das Projekt umfassend zu gestalten, es mit einer Ausstellung, einem Symposium zu verbinden. Wir gehen das auch sehr sensibel an. Das war auch der Grund, warum Bernhards Bruder Fabian diesem Projekt zugestimmt hat. So ein Projekt kann nur in Absprache mit dem Nachlassverwalter zustande kommen.

M&T: Und wie war es mit Ihren moralischen Ansichten hinsichtlich der testamentarischen Verfügung?

KINSKY: Ich stehe dem Staat oder dem, was sich als Staat darstellt, auch der Gesellschaft sehr kritisch gegenüber. Aber wenn ich den Mund zumache, beziehe ich keine Stellung mehr. Ich finde, in dieser Richtung sollte man denken. Ob es nun richtig ist oder nicht, weiß ich nicht. Wenn Bernhard noch leben würde, hätte er es vielleicht verboten oder nicht gewollt, dass hier gerade dieses Stück aufgeführt wird, vielleicht hätte man mit ihm reden können - reine Spekulation. Es ist auch so, dass wir nicht versuchen das Stück so zu machen, wie es damals in Wien entstanden ist und präsentiert wurde, sondern wir versuchen es den hiesigen Gegebenheiten anzupassen. Es ist eine vollkommen neue Variante, der Versuch einer neuen Sichtweise. Wie gesagt, es spekuliert nicht mit dem Skandal, dieser lässt sich auch gar nicht herstellen.

M&T: Zum Schluss etwas über die künftige Arbeit des ETK in Kroatien. Sind schon neue Projekte in Aussicht, Projekte, die dem kroatischen Publikum vielleicht mehr entsprechen?

KINSKY: Es gibt die eine oder andere neue Projektidee, aber es wird sich letztendlich alles in dem genannten Bereich drehen. Denn alles andere können andere Institutionen besser. Was ich bewerkstellingen kann, das ist: Leute zu engagieren oder zu motiviern etwas zu tun, was sie in den etablierten Institutionen normalerweise nicht machen können. So wie ich dem Regiessur - dem ich nicht das zahlen kann, was er an anderen Häusern bekommt - etwas Neues bieten kann. In einen Kulturraum gehen, den du nicht kennst, mit einem Stück arbeiten, das sehr sensibel zu behandeln ist, mit Schauspielern arbeiten, mit denen man in ähnlicher Weise noch nie zu tun hatte. Wenn jemanden diese Erfahrung interessiert, dann ist es gut; wenn nicht, dann ist es sowieso die falsche Person. Man geht selbstverständlich Verpflichtungen ein, die Leute machen das ja nicht umsonst. Aber ein wichtiger Aspekt ist immer, dass die Teilnehmenden den Rahmen des Gewohnten übersteigen, Neuland entdecken, eine Herausforderung erleben.


 

GEGEN DAS VERGESSEN - EINE AUSSTELLUNG ÜBER LEBEN UND WERK THOMAS BERNHARDS
(VON MARTA KLEPO UND TEREZA TEKLIĆ)

Das bekannte Zagreber Schauspielhaus Gavella öffnete die Türen seines attraktiven Atriums für eine Ausstellung über Leben und Werk Thomas Bernhards, eines österreichischen Autors, der sicherlich nur einem kleinem Teil des kroatischen Publikums bekannt war und noch immer ist. Er handelt sich um eine Ausstellung, die im Rahmen der Anfang November 2003 in Zagreb organisierten Thomas Bernhard-Tage stattfand und somit nur ein Teil des reichhaltigen Begleitprogramms darstellte.
Die Ausstellung bestand aus mehreren Teilen: Handschriften aus dem Nachlass, Fotos von Bernhards ´Lebensmenschen´ (Bernhards Großvater - der Schriftsteller Johannes Freumbichler und die Freundin Hedwig Stawianicek) sowie eine dokumentarische Video-Projektion. Duch diese Verknüfung sollte den Besuchern ein lebendigeres Bild des Schriftstellers vermittelt werden. Der multimediale Charakter der Ausstellung sollte dazu beitragen, dass Thomas Bernhard aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt und eine mögliche ´Schriftfixierung´ vermieden wird. Andererseits wollte man die Darstellung auch nicht auf Bilder und ihren biographischen Kontext reduzieren. Der Schwerpunkt der Ausstellung sind doch die Nachlassblätter, die Einblick in die Arbeitsweise und die Entwicklung des Schriftstellers gewähren. Ihre öffentliche Präsentation hat die Thomas Bernhard-Privatstiftung ermöglicht.
Diese Ausstellung ist Teil eines größeren Projektes, dass zum ersten Mal in der Wiener Nationalbibliothek vorgestellt wurde und später auf Wanderschaft nach München, Luxemburg, Budapest und in den Iran gegangen ist. Von Martin Huber, dem Leiter des Thomas Bernhard-Archivs im österreichischen Gmunden, erfahren wir, dass die Präsentation je nach Raumsituation und nach lokalen Anknüpfnugspunkten beliebig variiert werden kann. Konzipiert wurde das Projekt von Martin Huber, dem Bernhard-Spezialisten Manfred Mittermeier und dem Ausstellungsarchitekten Peter Karlhuber. Dabei wurde gezielt darauf hingearbeitet, die Ausstellung mit anderen Veranstaltungen zu verknüpfen.
Schon viele Ausstellungen bildender Kunst in Österreich und anderen Ländern haben Thomas Bernhard als Inspirationsquelle oder als Anregung verwendet, beispielsweise Erika Schmied, die eine klare Parallele zwischen Hundertwasser und Bernhard gezogen hat, oder die ausgezeichneten Grafiken und Zeichnungen von Josef Linschinger und Christel Bak, um nur einige zu erwähnen. Martin Huber ist jedoch der Meinung, dass aus dem assoziativen Zusammenhang von Literatur und bildender Kunst keine tieferen interpretatorischen Verknüpfungen abgeleitet werden sollten und hat daher in dem vorliegenden Projekt auch keine Verbindung mit der bildenden Kunst angeregt.
Eigentlich schade, denn in unserer Gesellschaft würde das Konzept einer Kunstausstellung eher aufgehen und ein breiteres Publikum hätte sich angesprochen gefühlt. Die Einblicke in Leben und Werk Thomas Bernhards wären vielleicht über den kleinen Kreis der Freunde deutschsprachiger Literatur hinausgewachsen.


 

PROVOKATION IM BERNHARDSCHEN SINN
DIE DRAMATURGIN DUNJA DRAGOJEVIĆ-KERSTEN ÜBER DIE INSZENIERUNG VON BERNHARDS HELDENPLATZ
(EIN INTERVIEW VON PATRICIJA TKALČEC)

Im Rahmen der Thomas-Bernhard-Tage in Zagreb fand vom Freitag bis Samstag, 7.-8. November, im Goethe-Institut ein zweitägiges Symposion zum Thema Thomas Bernhard - Dichter und Polemiker statt. Am Samstag Vormittag habe ich mit Frau Dunja Dragojević-Kersten, der Dramaturgin und Assistentin des Regisseurs David Mouchtar Samorai gesprochen. Obwohl Frau Dragojević-Kersten nicht nur sehr erschöpft wegen der kroatischsprachigen Erstaufführung von Bernhards Heldenplatz im Gavella Theater am Vorabend war, sondern auch zusammen mit dem Hauptdarsteller Ivica Vidović am Symposion aktiv teilnahm, hat sie sich Zeit genommen und unseren Wünschen, etwas mehr über die Inszenierung zu erfahren, freundlich entgegengekommen. Am Anfang unseres Gesprächs äußert sie sich über die Premiere:

- Es ist immer so schwer, etwas Vernünftiges zu sagen, weil alle immer so wahnsinnig aufgeregt und nervös sind. Vor allem hoffen wir, dass alles glatt und reibungslos laufen wird. Ich habe mir lange überlegt, ob ich die Premiere überhaupt anschauen werde oder nicht, und dann bin ich hingegangen und habe alles gesehen. Ich denke, dass das, was wir gestern gemacht haben, gut ist. Das ist wie eine der besten Proben, die wir gemacht haben.

Welche Schritte müssen unternommen werden, um aus einer Textvorlage eine Inszenierung zu machen, und wie sah das konkret in diesem Fall aus?

- Das ist sehr unterschiedlich. Meine Freunde fragten mich oft halb ernst, halb scherzhaft: Sag mal, was überhaupt eine Dramaturgin? Das hab´ ich nie verstanden. Die Aufgabe eines Dramaturgen variiert von Stück zu Stück, von Produktion zur Produktion, weil es eben manchmal auch Texte gibt, die so auf die Bühne gebracht werden, wie sie geschrieben sind. Es ist einfach, wenn man ganz wenige Eingriffe im Text macht, wenn man den Text den Schauspielern sozusagen schenkt und sagt: Macht mit dem Text, was immer ihr wollt, oder wenn der Regisseur sagt: Nein, nicht berühren, ich lass' das so, wie es ist, weil mir das wichtig ist.
Aber manchmal ist es so, dass es viel anspruchsvoller ist - und das ist hier der Fall - weil wir den Text zu fünfzig Prozent gekürzt haben. Das ist wirklich sehr radikal, und das war Davids Konzeption. Wir haben ein Problem gehabt, eine untypische Theatersituation: Der Regisseur spricht nicht die Sprache der Vorstellung, also die Sprache, die alle Schauspieler verstehen. Deshalb musste er mit mir, also mit der Dramaturgin, sehr schwer ackern und mir wirklich vertrauen. Wir haben z. B. Österreich, Österreicher und Wien gestrichen und diese Stadt, dieses Land, dieses Volk eingesetzt. Diese Eingriffe waren schon etwas ganz Besonderes und Heikles. Das war beim Heldenplatz, einem so österreichischem Stück, sehr schwierig.

Sowohl Sie als auch alle Schauspieler haben gesagt, Heldenplatz sei ein kaltes Stück. Im Gegensatz dazu versuchte der Regisseur den Text als eine musikalische Partitur, jedes Wort als Note zu übertragen.

- Das ist schon Bernhards Stil: kalt, intelektuell, sprachlich beladen und sehr komplex. Die Sprache ist schon ziemlich hart, und es gibt auch diese Übertreibung als künstlerisches Prinzip bei Berhard. Damit muss man sich erstmal anfreunden. Das ist etwas, was nicht jedermans Sache ist. Man muss den Hintergrung gut kennen, theoretisch-wissenschaftliche Kenntnisse haben, sich damit ein bisschen länger beschäftigen, um alles verstehen zu können. Das war den Schauspielern sehr schwer, weil sie diesen Hintergrung nicht kannten. Sie können nicht über jeden Autor, den sie spielen, alles wissen und literaturwissenschaftlich recherchieren. Deshalb gehört es zum Dramaturgenjob, dass man den Schauspielern den Autor etwas näher bringt.
David hat mehrmals betont: Ich möchte Charakterschauspieler. Das ist nicht unbedingt im Bernhardschen Sinne, da seine Figuren oft keine Charaktere sind, sondern eine Plattform für den sprachlichen Ausdruck. Das ist in dieser Inszenierung ganz anders gemacht worden - diese Figuren sollten Charaktere werden.

INTERKULTURELLE DIMENSION

Der umfangreiche Dramentext ist gekürzt worden. Ist damit die ursprüngliche Idee des Autors, durch die Länge des Werkes den Rezipienten zu provozieren und ihm das Lesen unbequem zu machen, verlorengegangen?

- Ich bin kein Freund dieser Literaturkritik, die sehr streng anordnet oder Befehle erteilt, wie man einen Autor oder einen Text interpretieren soll. Meiner Meinung nach gibt es nicht nur eine Interpretation, und ich glaube, das ist auch der Stand der Literaturkritik heutzutage. Man könnte natürlich immer Bernhard fragen, warum er das geschrieben hat, welche Intention er dabei hatte. Ich kenne sehr viele Autoren, und ich habe sehr viele Interviews geführt - ich kann Ihnen sagen, die sind alergisch auf diese Fragen, weil sie einfach sagen: Lesen Sie das Stück, und lesen Sie daraus, was Sie lesen möchten oder können.
Ich denke, dass es in diesem Fall schon ein bisschen in dem Sinne anders ist, dass Thomas Bernhard Heldenplatz zwar zu einem Anlass geschrieben hat - im Aufrag vom Burgtheater - und deshalb ist eine Intention dahinter zu finden. Eine andere Frage ist, wie wir diese Vorstellung fünfzehn Jahre später präsentieren, was wir aus diesem Stück rausholen, und wie wir damit umgehen. Wenn Bernhard am Leben wäre, würden wir ihn fragen, wie er das versteht. Das können wir aber leider nicht.

Was die Rollenverteilung anbelangt, wie sah die Zusammenarbeit aus?

- Ganz normal. David kam nach Kroatien, hat sich das Stück angeschaut, er hat mehrere Schauspieler vom Gavella Theater gesehen, und dann hat er gesagt: Ich möchte diesen und diesen Schauspieler für diese Rolle. Mit den Schauspielern, die englisch können, hat David ohne mich gearbeitet und hat ihnen direkt gesagt, was sie machen sollen. Es gab Schauspieler, die kein englisch und kein deutsch konnten, so auch Ivica Vidović. Das ist schade, weil er eine so große Rolle hat (Robert Schuster). Da habe ich übersetzt. Dadurch, dass ich Dramaturgin und Regieassistentin bin, wusste ich ganz genau, was David will; nicht nur, wie ich das transponieren und übersetzten soll, sondern auch, wie ich Ivica oder andere Schauspieler dazu bringen kann, dass sie ihm geben oder zeigen, was er sehen wollte.

Apropos Zusammenarbeit, gab es irgendwelche Schwierigkeiten, und zwar nicht nur rein sprachliche Missverständnisse? Das Team besteht doch aus Künstlern verschiedener Nationalitäten.

- Das war meiner Meinung nach überhaupt kein Problem. Da David kein Kroate ist, und da er sowieso ein multikulti-Typ an sich ist, war alles spannend und interessant. Theaterleute sind sozusagen eine eigene Kaste. Das ist gerade das Schöne und Faszinierende an der Arbeit im Theater, dass man ganz viel aus dem Bauch herausmachen kann, dass man nicht viel intelektualisieren muss, sondern es geht um die Körpersprache, Emotion und Gestik, die da zu sehen sind. Alle diese Leute, die in diese Vorstellung gestern aus Österreich oder Ungarn gekommen sind, haben alles gesehen und verstanden, ohne dass sie ein Wort kroatisch können.

DIE AUFGABE DER KULTUR

Eine andere Dimension dieser interkulturellen Integration wäre eine Adaptation, eine Umsetzung also in den kroatischen Kontext. Wofür könnte der Wiener Heldenplatz, als Symbol für die österreichische Geschichte, stehen?

- Wir haben das bewusst nicht gemacht. Es würde nicht funktionieren, wenn wir dieses Stück in Kroatien lokalisieren würden. Das ist eine aufregende Sache - Heldenplatz für Jelačić-Platz ist natürlich naheliegend, aber ob das ganz richtig wäre, und ob das funktionieren würde, das kann man leider nicht sagen. Doch, wenn man so wirklich schwarz-weiß denken würde: Heldenplatz ist Jelačić-Platz, Hitler ist Pavelić, das Burgtheater ist das Kroatische Nationaltheater (HNK). Das stimmt aber nicht, weil HNK eine andere Tradition hat.

Und es gibt nicht den gleichen Hintergrund.

- Richtig. Und dieser Satz im Text: Im Burgtheater spielt man auch heute schlecht würde überhaupt nicht funktionieren. Die Leute würden nicht verstehen, was dahinter steckt, weil der Text im Aufrag vom Burgtheater geschrieben wurde. Und das gibt dem Ganzen einen zusätzlichen Witz.

Inwiefern kann die dramaturgische Gestaltung eines Dramas die Problematik des Stückes von mehreren Aspekten aus beleuchten und dadurch eine vertiefende Beschäftigung anregen?

- Wir reden jetzt von unterschiedlichen Medien. Wenn wir ein Drama lesen, dann haben wir alle Möglichkeiten der Welt, diesen Text auszulegen und zu interpretieren. Wenn Sie im Theater arbeiten, dann bekommen Sie ein paar Dimensionen mehr, verlieren aber wahnsinnig viel an Fantasie, weil Sie schon jemandem eine Interpretation anbieten. In diesem Sinne kann man sagen, dass jede Vorstellung eine Akzentuierung des Stückes ist. Da kann man nicht von einer falschen Akzentuierung reden, weil wir nicht Theater- oder Literaturgötter sind, die sagen könnten, was richtig oder falsch ist. Das ist jetzt ein Angebot, wie wir dieses Stück gelesen haben, wie man dieses Stück lesen kann. Jemandem kann es gefallen, dem anderen wird es nicht gefallen, was auch gut ist. Es entsteht ein kultureller Dialog und das meiner Meinung nach die Aufgabe der Kultur überhaupt.

HELDENPLATZ ALS FAMILIENTRAGÖDIE

In welchem Maße unterscheidet sich die Aufführung in Kroatien vom Heldenplatz in anderen Ländern?

- Wenn ich mich nicht täusche, sind wir die Vierten überhaupt. Ich glaube, es gibt nur noch drei Heldenplätze. Ich kenne nicht alle drei, aber es ist auf jeden Fall so, dass alle drei Vorstellungen etwas ganz anderes als unsere waren, da bin ich mir sicher. Vielleicht waren sie dieser Kälte Thomas Bernhards mehr treu als unser Stück. Wir haben das auch radikal gestrichen und die Reihenfolge der Szenen gemischt. Dadurch haben wir eine ganz andere Vorstellung bekommen. Unterschiedlich ist auch diese Familientragödie, was immer wieder betont wird. Viele Leute reagieren ganz aufgeregt auf diesen Begriff und sagen: Um Gottes Willen, Heldenplatz ist doch keine Familientragödie! Das kann man nicht belegen. Ich denke, wir haben gezeigt, dass man es auch so auslegen kann. Warum denn nicht? Gut, man könnte sagen, das sei eine menschliche Tragödie, nicht nur Familientragödie, das ist aber nur Provokation im Bernhardschen Sinne.

Heldenplatz wurde zum ersten Mal im November 1988 aufgeführt. Die Rezeptionsgeschichte rund um die Uraufführung ist bekannt...

- Man kennt also die ganze Geschichte: Der Text, beziehungsweise Ausschnitte aus dem Text sind illegal veröffentlicht worden. Die Tatsache, dass es zu einem politischen Skandal gekommen ist, dass prominente Politiker verlangt haben, dass Thomas Berhard aus dem Land rausgeschmissen wird, ist beängstigend. Nicht die Tatsache, dass Thomas Berhard schreibt, in Wien gebe es heute mehr Nazis als 1938. Man kann sagen, er sei der alte Zyniker, der übertreibt; er ist einfach ein großer Kulturpessimist, den man nicht ernstnimmt. Die Tatsache, dass Leute, und zwar nicht nur rechtsorientierte wie Haider, sondern sogar Sozialdemokraten, die eigentlich sehr liberal und sehr freidenkend sein sollten, verlangt haben, dass die Premiere aus dem Repertoire des Burgtheaters gestrichen wird, empfinde ich als den wahren Skandal. Das beweist, dass Thomas Bernhard leider vielleicht doch nicht nur übertrieben hat, wie wir meinen, oder wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.


 

EIN LEERER RAUM FÜR BERNHARDS HELDENPLATZ
(MARTINA DRPIĆ IM GESPRÄCH MIT DEM SZENOGRAFEN HANS GEORG SCHÄFER)

Die Aufführung von Thomas Bernhards Heldenplatz im Gavella Theater hat mit seinem ungewöhnlichen Szenenbild für Wirkung beim Publikum gesorgt. In einem Gespräch mit dem Szenografen Hans Georg Schäfer wollten wir Einblick in die Ideen und Motive gewinnen, die er im Bezug auf die Inszenierung gehabt hat, aber auch in Einzelheiten der Realisierung.

Welche Schritte liegen zwischen dem Inszenierungskonzept und seiner Umsetzung auf der Bühne?

Ich wohne in derselben Stadt wie der Regisseur Samorai - in Bonn, so dass wir häufig Gelegenheit haben, einander zu treffen. Schon zu Weihnachten 2002, also vor elf Monaten haben wir zum ersten Mal über den Heldenplatz gesprochen. Natürlich fangen wir mit dem Gespräch an, nachdem wir das Stück beide gelesen haben und es relativ gut kennen, als Dramentext. Bei mir war es so, das ich verhältnismäßig viel Thomas Bernhard gelesen habe: andere Texte, andere Stücke. Ich bin ein großer Liebhaber dieses Autors, er war mir in seiner Thematik schon bekannt. So viel es mir leicht, mit Samorai über das Stück zu diskutieren.
Dabei haben wir sehr schnell begriffen, dass wir dieses Stück in einem nicht deutschsprachigen Land auf jeden Fall reduzieren müssen: dass wir viele Dinge, die im deutschsprachigen Land bekannt sind, nicht wiedergeben können - man muss eine andere Sprache finden. Hinzu kommt, dass der Regisseur natürlich im wörtlichen Sinne die Sprache Thomas Bernhards benutzen kann, aber ich als Bühnenbildner, als Szenograf, ich muss eine neue Sprache finden. Ich baue immer sehr genaue Maketten, sehr genaue Modelle. Das Modell haben wir dann immer weiter reduziert, immer mehr naturalistische Dinge weggelassen... Dass, was übrig blieb, war fast im Sinne von Peter Brook, der ein berühmtes Buch verfasst hat: The empty space. Wir sind zu einem beinahe leeren Raum gelangt, ohne dass es tatsächlich ein leerer Raum ist. Was man sieht, ist ein ganz spezifischer Raum und doch kann man sagen, die Bühne ist eigentlich leer. Man sieht fast nichts, nur noch diese zeichenhafte, mit dem Lineal gezogene perspektivische Andeutung, eine szenische Begrenzung.

Wie groß ist der Einfluss des Regisseurs auf Ihre Vorstellungen? Kommen Sie mit einem autonomen Bild, oder schlägt es der Regisseur vor? Wie lief die Zusammenarbeit bei dieser Aufführung?

Ich kenne den Regisseur schon viele Jahre, aber ich habe nie mit ihm gearbeitet. Wenn man am Anfang einer Arbeit steht, dann muss man erst eine Begriffsklarung machen - jeder Mensch hat andere Empfindung, einen anderen Sinn für Musik, Ästhetik, Humor; so muss man erstmal durch viele Gespräche eine gemeinsame Sprache finden. Ich baue immer genaue Maketten im Maßstab 1:20, da kann man dann sagen: "Schau mal, so, wie es an diesem Modell ist, so sehe ich es. Findest du das gut oder nicht? So ist die Farbe, so der Stuhl..." Ich baue jedes Detail im Modell ganz genau nach, und so kommen wir schneller zu einem gemeinsamen Ziel. Dann kann er auch sagen: "Nein, das ist nicht gut." Oder, ich habe eine Idee, aber im Modell sehe ich, dass es nicht gut ist und dann uberlege ich mir eine neue. Spater rufe ich ihn an und sage: "Ich habe etwas Neues gemacht, komm und schau dir das an." Und dann diskutieren wir es wieder, so dass er auch eigene Vorschläge gibt.
Eine gute Arbeit ist es, wenn man nicht mehr weiß: hat er die Idee gehabt oder ich? Das heißt "work in progress", eine Entwicklung, die auch während der Proben mit den Schauspielern weitergehen kann. Ich kannte nicht alle Schauspieler, obwohl ich schon seit dreißig Jahren gelegentlich in Kroatien arbeite.

Haben auch die Schauspieler Einfluss auf das Aussehen der Szene?

Auf das Aussehen der Szene haben sie wenig Einfluss. Das Kostüm soll den Charakter des Schauspielers darstellen, oder den Charakter, den wir im Stück von dieser Rolle erwarten. Wie der Schauspieler aussieht, das müssen wir mit dem Kostüm verstärken; nicht irgendein Phantasiekostum machen und sagen: "Zieh du das an, und so musst du das spielen" - das wäre Unsinn. Ich muss im Kostüm den Charakter entwickeln - für die Rolle, mit dem Schauspieler. Natürlich kann es passieren, dass wir szenisch was ändern: Der alte Mann mit dem Stock (Robert Schuster), der plötzlich hinfällt - das war nicht im Text, das war eine spontane Erfindung. Das sind Klenigkeiten, aber sie beeinflüssen auch die Szene.

Gab es bei anderen Aufführungen von Heldenplatz schon Modelle für das Aussehen der Szene bei dieser Inzenierung? Haben sie sich dieser Modelle bedient?

Das Stück wurde in Wien uraufgeführt, und es war ein riesiger politischer Skandal. Erst zehn Jahre später wurde es in Frankfurt am Main und einmal in Paris aufgeführt. Bei der Aufführung in Paris war es so, dass der Verleger, oder der, der jetzt die Rechte hat an den Stücken von Thomas Bernhard, es verboten hatte, weil er mit dieser Auffuhrung sehr unzufrieden war.
Ein Glück war es, dass wir hier in Kroatien die Rechte bekommen haben, das Stück überhaupt aufzuführen. Der Nachlassverwalter von Thomas Bernhards Werken hat sehr kritisch gesagt: "Nein, das ist verboten." Wir haben durch einen Freund in der Thomas Bernhard-Gesellschaft, Nikolaus Kinsky, die Rechte fur die Aufführung in Zagreb bekommen. Dashalb gibt es auch kein Vorbild. Ich habe mir nur die Fotos angeschaut von der Uraufführung in Wien; diese hat ein berühmter Szenograf gemacht und das war sehr viel naturalistischer: da war ein richtiger Park in der Parkszene und es wurden die Räume, richtige Innenraume dargestellt. Hier haben wir auch einen Park, aber es stehen immer dieselben Stühle herum, es sind dieselben Stühle auch im Esszimmer, obwohl es eigentlich Parkstühle sind. Also, eine Stilisierung, Reduzierung auf die nötigsten Mittel. Die Szene in Paris habe ich nicht gesehen.

In welchem Maße haben Sie sich also der textuellen Vorlage bedient?

Davon habe ich gar nichts benutzt. Man weiß sowieso nicht, wie der Park vor dem Burgtheater aussieht. Da sind die Schauspieler, sie unterhalten sich, laufen im Park herum... und man muss dafür einen ästhetischen Raum finden. Die Frau, die bügelt, braucht ein Bügelbrett. Das klingt sehr einfach, aber wir müssen genau wissen, was wir alles brauchen, wie wir es mit dem Licht machen... Wir haben sehr viel mit dem Licht gemacht, aber der Zuschauer soll das nicht merken.

Gab es Probleme mit den Materialien oder mit dem Geld?

Nein, überhaupt nicht. Ich mache diesen Beruf schon seit vielen Jahren. Hier in Gavella gibt es einen wunderbaren technischen Leiter; ich verstehe mich wunderbar mit ihm und alles was ich wollte, konnte man hier auch realisieren.
In Deutschland bekomme ich viel mehr Geld fürs Bauen einer Dekoration, aber das, was ich hier gemacht habe ist sowieso reduziert, so dass es keine finanzielle Frage war. Selbst wenn ich hier ganz viel Geld gehabt hätte, würde ich es nicht brauchen - ich brauche hier nur diesen Rahmen, mehr brauche ich ästhetisch nicht. Also bin ich nicht beschränkt durch die finanziellen Mittel. Ich wurde auch nicht gefragt, wieviel das kostet.

Theater im Theater - das ist eine interessante Dimension des Stückes. Doch in Ihrem Bühnenbild sieht man überhaupt nicht, dass da ein Theater - das Burgtheater - auf der Bühne sichtbar wird.

Das war auch meine Intention! Hier ist es nicht so wichtig. Das Burgtheater ist ein Nationaltheater, wenn also ein Österreicher etwas Böses sagt über das Burgtheater, beleidigt er die Nation. Wenn ich etwas Böses sage über Gavella, dann beleidige ich gar niemanden in Kroatien - das ist meine Privatmeinung - ein Kroate fühlt sich nicht persönlich beleidigt. Ich muss hier also nicht das Burgtheater auf der Bühne zeigen, weil der Begriff des Burgtheaters fur einen Kroaten gar kein Begriff ist. Es ist nicht meine Arbeit, hier ein Kommentar über eine inhaltliche Sache zu geben, die man nicht verstehen wurde.
Den Heldenplatz darstellen - in Österreich wäre das etwas ganz anderes. In Österreich oder auch in Deutschland weiß man, was der Heldenplatz bedeutet: Der Platz, auf dem Hitler seine Rede gehalten hat auf irgendeinem Balkon, zum Anschluss Österreichs. Also: der Nationalsozialismus. In Kroatien weiß das kaum jemand. Deshalb muss ich das nicht darstellen, sondern nur einen Raum finden, in dem diese Dinge möglich sind, mit möglichst wenig konkreten Bezügen, um nicht zu irritieren und trotzdem eine Klammer für den Text zu finden. Ich glaube, dies auch erzielt zu haben.


 

THOMAS BERNHARDS HELDENPLATZ - AUS DER SCHAUSPIELERPERSPEKTIVE
(NIKOLINA DIMITROV IM GESPRÄCH MIT KSENIJA PAJIĆ UND SRETEN MOKROVIĆ)

Bereits in der vorigen Theater-Saison (2002/03) kam der Vorschlag von ETK Donadria aus Wien (Europäisches Theater- und Kulturzentrum) an das Zagreber Gavella Theater, das Stück Heldenplatz von Thomas Bernhard zu inszenieren. Der Regisseur David Mouchtar Samorai kam regelmäßig nach Zagreb, sah einige Theatervorstellungen und Videoaufnahmen, und nach ein paar individuellen Gesprächen mit Schauspielern hatte er über die Verteilung der Rollen entschieden. Wir haben mit zwei Schauspielern des Gavella Theaters über die Vorstellung und die Arbeit mit dem Regisseur Samorai gesprochen, sowie darüber, wie sie das Stück Heldenplatz und den Schriftsteller Thomas Bernhard erlebt haben.

Die ersten Eindrücke

Nachdem sie den Originaltext zum ersten Mal gelesen hatten, waren die Schauspieler Ksenija Pajić (Anna Schuster) und Sreten Mokrović (Herr Landauer) nicht besonders beeindruckt:
"Mein erster Gedanke", sagt Sreten Mokrović, "ist gewesen: Mein Gott, kann so was ein dramatischer Text sein? Wahrscheinlich wegen der Gewohnheit, wegen meiner Erwartungen, wie ein dramatischer Text aussehen sollte - dass etwas Dramatisches passiert, mit einem Konflikt, mit Spannung, wie bei Shakespeare oder Tschechow... Nichts davon habe ich in diesem Text gefunden. Doch dann, nachdem ich den Text zum zweiten Mal gelesen hatte, begann ich zu begreifen, wo der Schlüssel liegt, was uns der Autor suggeriert und worüber er eigentlich schreibt. Und das gefiel mir. Erst dann begann der Text mich zu interessieren, erst dann hatte er mein schauspielerisches Interesse erregt."
Ihre Figur hatte Ksenija Pajić anfangs nicht sehr begeistert: "Jetzt, nachdem das Stück aufgeführt worden ist, kann ich sagen, dass die Rolle, die mir nach dem ersten Lesen am meisten gefallen hatte, diejenige der Frau Zittel war. Zuerst hatte ich den Originaltext, nicht also die verkürzte Version, gelesen und Annas Rolle schien mir dann nicht so wichtig. Später aber, als das Original verkürzt wurde, trat Annas Figur in den Vordergrund und deshalb kann ich jetzt sagen, dass ich wirklich eine wichtige Rolle in dieser Vorstellung spiele.
Am Anfang, wie gesagt, schien mir die Figur der Anna etwa trocken zu sein, aber durch die Arbeit mit David hatte ich entdeckt, dass sie viel mehr Dimensionen und Ebenen hat, als ich zunächst wahrgenommen hatte. Sie ist eine Frau mit Erfahrung, eine starke, kämpferische Person. Sie verfällt in keine Depressionen, anders als ihre jüngere Schwester z. B., und steht mit beiden Füßen fest auf der Erde. Irgendwie fühlt sie doch die Schuld wegen des Todes ihres Vaters, vielleicht deswegen, weil sie ihn zwei Jahre lang nicht besucht hatte und weil sie zwei Jahre lang mit ihm nicht geredet hatte. Und das spürt man im ganzen Drama."

Die Arbeit mit David Samorai

Im Juni wurden die Rollen verteilt und Ende August hatten die Proben begonnen. Es seien keine üblichen Proben gewesen, stimmen Ksenija und Sreten zu. Sie hätten sehr lange gedauert und seien sehr anstrengend gewesen. Normalerweise würden die Proben im Gavella-Theater von 10 bis 14 Uhr dauern, aber diese seien noch länger und intensiver gewesen (tägliche Proben). David sei ein sehr präziser Regisseur und Heldenplatz ein wirklich anspruchsvoller Text. Über die Zusammenarbeit mit David Samorai haben die beiden allerdings nur gute Worte:
"Ich fand es wirklich sehr angenehm", sagt K. Pajić. "Ich habe so viel von David gelernt. Die Proben waren anstrengend, aber immer auch eine große Freude." Außerdem mag sie sehr mit Regisseuren aus dem Ausland arbeiten. Nicht weil sie besser seien, sonder weil es immer wieder eine neue Erfahrung sei, eine neue Person, ein neues Gesicht, eine neue Vorgehensweise, was immer interessant sei.
Ein Problem könne allerdings die Sprache sein. Ihr sei das eine ausgezeichnete Gelegenheit, ihr Englisch zu üben, aber Schauspieler, die Englisch nicht beherrschen, befänden sich im Nachteil. Obwohl sie stets einen Übersetzer hätten, sei das nicht das Gleiche - keine direkte Kommunikation. Die Theatersprache, wie Ksenija erklärt, habe ihre Besonderheiten. Der Übersetzer könne etwas falsch verstehen und dann falsch übersetzen. Das erschwere die Kommunikation Schauspieler - Regisseur.
"David arbeitet auf eine spezifische Art und Weise", sagt S. Mokrović. "Wir hatten uns nicht mit den Analysen der Figuren, mit ihren Charakteren oder Eigenschaften beschäftigt, hatten nicht über die Verhältnisse zwischen den Figuren geredet, was wir sonst pflegen zu tun. Nein, David ging direkt in den Text. Er beharrte auf dem Rhythmus des Textes, so dass wir auf diese Weise fühlen, was Bernhard durch jene Figur sagt, was sie überhaupt im Kontext dieser Familie, jener Gesellschaft bedeutet. Auch hatte er eine Ruhe, eine Stille von uns verlangt. Er sagte immer: weniger ist mehr. Dieser Text ist komisch und traurig und ironisch, aber unser Ziel war nicht, komisch, traurig oder ironisch zu sein. Wir wollten zeigen, wie sich die Figuren persönlich in jenem Moment, also nach dem Begräbnis, fühlen."
Wie präzis David Samorai ist, zeigt die Tatsache, dass die Schauspieler ganz genau gewusst haben, wann sie sich setzen sollten, wann jemand aufsteht, wo genau sie stehen müssten. Auch sei die Stelle, an der Ksenija und Sreten scheinbar versehentlich zur gleichen Zeit zu reden beginnen, inszeniert. Und all dies mit der Absicht, realistischer und überzeugender zu sein.

Familientragödie oder politisches Stück?

Bernhard ist kein gewöhnlicher Autor und seine Texte haben immer für einen großen Wirbel gesorgt, besonders in Österreich. Wir wollten wissen, ob den Schauspielern die dargelegten Behauptungen über Schauspieler und Theater im Heldenplatz stören, z. B. diese von Professor Robert: Schauspielerinnen Tänzerinen das ist doch nichts... Das Theater war doch immer nur ekelhafte Wichtigtuerei...
"Mich stören solche Aussagen nicht", sagt Ksenija. "Ich finde sie komisch und nehme sie nicht ernst. Wie Bernhard selbst sagt - er übertreibt, und nur auf solche Art und Weise kann man pointiert auf etwas hinweisen. Onkel Robert ist zynisch, er spottet über alles und alle, aber, meiner Meinung nach, nicht um jemanden so zu beleidigen. Er lobt ebenso niemanden."
Auf dem Symposion im Rahmen der Thomas-Bernhard-Tage wurde der Zagreber Inszenierung eine verfehlte Interpretation des Stückes vorgeworfen. Statt eines politischen Stückes hätten wir eine Familientragödie gesehen. Doch Ksenija Pajić meint, sie hätte die Rolle nicht akzeptiert, wenn es nicht um Bernhard, sondern um eine zeitgenössische politische Adaption gegangen wäre, in der Sätze zu hören gewesen wären wie: "die Kroaten ingesamt als Masse sind heute ein brutales und dummes Volk... vier Milionen Debile und Tobsüchtige... in Kroatien mußt du entweder Kommunist oder katholischer Ustascha sein, und zwar hundertprozentig kommunistisch und hundertprozentig Ustascha... in Kroatien haben Serben und Moslems nichts verloren...". Ksenija versteht Bernhards Text nicht ausschließlich als Kritik an einer konkreten Gesellschaft, sondern als Kritik der Gesellschaft überhaupt.
"Hier geht es um den Mangel an geistlichen, politischen und kulturellen Kriterien und Werten. Meiner Meinung nach schreibt Bernhard über die Gesellschaft im Allgemeinen, und tatsächlich hat er in vielem Recht. Aber mich interessierte in diesem Text nicht so sehr diese politische Seite. Hätten wir uns nur darauf konzentriert, wären wir nur auf dieser Ebene geblieben, dann wäre dies sehr flach. Dann würden wir nur auf eine Sensation hinspielen - die Sensation wird das Publikum ins Theater bringen, die Sensation wird den Saal verkaufen - was mir falsch scheint. Heldenplatz ist kein solcher Text. Mich interessiert eine andere Dimension - zwischenmenschliche Beziehungen, das Verhältnis zwischen den Schwestern, das Mutter-Vater-Verhältnis, das Vater-Tochter-Verhältnis, Probleme also in einer Familie, in der viele Dinge nicht stimmen - und heute gibt es viele solche Familien."

Bernhard als Inspiration

Als eine weitere Besonderheit des Textes hebt die Schauspielerin Bernhards Sprache hervor: "Seine Poetik gefällt mir sehr. Die Sprache an sich ist ziemlich kompliziert. Wir hatten uns mit der Sprache intensiv beschäftigt. Sie wissen, wie Bernhard geschrieben hatte, ohne Interpunktion. Eigentlich hat seine Sprache einen besonderen Rhythmus, vergleichbar mit Versen, und darauf beharrte auch David. Am Anfang klang das ein bisschen ungewöhnlich, künstlich, aber später ist dies ganz normal geworden und klingt, wie mir scheint, natürlich. Es freut mich, dass es uns gelungen ist, Bernhards Schreibweise auf der Bühne darzustellen.
Bernhards Ausdrucksweise gefällt auch Sreten Mokrović: "Im Text gibt es fast keine Regieanweisungen. So gibt Bernhard dem Regisseur und den Schauspielern eine gewisse Freiheit der Interpretation, und das empfinde ich als anregend. Als ob er uns vertraut, als ob er weiß, dass die Schauspieler sich wirklich bemühen werden, um das zu entdecken, was im Text nicht steht. Landauer sitzt fast die ganze Zeit gebeugt, den Kopf zwischen den Händen - so zeigt er seine Verzweiflung, zeigt, wie er sich in dieser traurigen Situation, nach dem Begräbnis seines Vorbildes, fühlt. In einer Situation, in der alle daherreden, aber niemand niemandem zuhört oder zuhören will. Er redet nicht viel, aber sagt vieles über sich. Ohne Worte.
Die Schauspieler haben Bernhard also überhaupt nicht als einen politischen Autor erlebt, im Unterschied zu vielen Teilnehmern des Symposiums. Was die Schauspieler eher fasziniert hat, ist Bernhard als Person. Sreten Mokrović meinte am Ende unseres Gesprächs: "Thomas Bernhard hatte so viel erlebt. Sein Leben ist so interessant, so untypisch, so mutig, dass es als solches sowohl für einen Regisseur wie auch für einen Schauspieler wirklich sehr inspirativ sein kann."

Die Gespräche wurden am 21. November 2003 geführt.

 

Ksenija Pajić, kroatische Schauspielerin, geboren 1961 in Rijeka. Seit über 20 Jahren als Schauspielerin tätig. Im Theater Gavella in Zagreb spielt sie seit 1987. "Leda", 1987; "The importance of beeing Earnest", 1993 (für die Rolle der Gwendolen Fairfax hat sie 1994 den wichtigsten kroatischen Theaterpreis Nagrada hrvatskog glumišta bekommen); "Krach in Chiozza", 1996; "Ein Monat auf dem Lande", 1998; "Ach, Nora, Nora", 1999; "Kako sam naučila voziti" ("Wie ich fahren gelernt habe"), 2000; "Heldenplatz", 2003, sind nur einige von vielen Theatervorstellungen, in denen sie gespielt hat. Sie hat auch in vielen Filmen gespielt: "Oficir s ružom" ("Offizier mit Rose), 1987 - für die Rolle in diesem Film wurde ihr ein Preis beim Filmfestival in Venedig verliehen; "Maršal"("Marschall"), 1999; "Garcia", 1998; "Ledina" ("Brachland"), 2002, vorgestellt auf der Berlinale 2003.

Sreten Mokrović, kroatischer Schauspieler, geboren 1957 in Zagreb. Seit 1984 ist er Mitglied des Zagreber Theaters Gavella. Als einer der engagiersten kroatischen Schauspieler hat er in vielen Filmen und Theatervorstellungen gespielt. Filmrollen: "Daj što daš" ("Whatever you can spare"), 1979; "The Forgotten" (US-Produktion) 1989; "Treća žena" ("Dritte Frau"), 1997; "Četverored" ("Viererreihe"), 1999; "Jel jasno prijatelju?" ("Ist das klar, Freund?"), 2000. Theaterrollen: "Ein Monat auf dem Lande", 1998 (für die Rolle von Boljschnitzow wurde ihm 1998 der wichtigste kroatische Theaterpreis Nagrada hrvatskog glumišta verliehen); "All In The Timing", 2000; "Bahke", 2000; "Antigona in New York", 2002; "Heldenplatz", 2003.


 

BERNHARD IN DER STADT. DIE REZEPTION DER THOMAS BERNHARD-TAGE IN ZAGREB
(EIN BERICHT VON VEDRANA HOZJAN UND MARINA MIJIĆ)

Ein regelrechter kultureller Angriff wurde vom 6. bis 8. November 2003 auf Zagreb verübt, unter dem Motto: Lernen Sie Thomas Bernhard kennen! In diesen drei Tagen wurde eine Lesung aus seinen Werken veranstaltet, eine Ausstellung im Foyer des Gavella Theaters Publikum eröffnet, ein internationales Symposion im Goethe-Institut organisiert, mit dem Ziel, Forscher, Kenner und Verehrer Bernhards zu versammeln, um ihnen die Möglichkeit zu geben, über die Besonderheiten seiner Werke zu diskutieren und seine Bedeutung für den europäischen Kulturkreis zu bestätigen. Der Höhepunkt dieser Veranstaltungsreihe, die den schlichten Titel "Thomas Bernhard-Tage in Zagreb" trug, war die Premiere des Dramas Heldenplatz (Trg heroja) im Gavella Theater. Das Stück wurde vor kurzem von Sead Muhamedagić ins Kroatische übersetzt und wird bald auch in Buchform erscheinen.
Ob diese vielfältigen Veranstaltungen ein gewisses Interesse bei LeserInnen moderner, provokativer Dramen und dem Theaterpublikum erweckt hat und wie stark die Rezeption der Thomas Bernhard-Tage in Zagreb war, haben wir sorgsam beobachtet und anhand der Besucherzahlen und ihrer Aussagen "gemessen".
Um von den wahren Bernhard-Kennern mehr über ihn zu erfahren, hätte man auf jeden Fall das Symposion besuchen sollen (7. und 8. November). Diese Gelegenheit nützten nicht viele, obwohl die Veranstaltung am Tag zuvor in der Presse angekündigt war.

Es war wunderschön, doch es kann langweilig werden

Die kroatische Premiere des Dramas Heldenplatz, das bei der österreichischen Uraufführung 1988 einen riesigen Skandal ausgelöst hatte, hat erwartungsgemäß das größte Interesse geweckt. Bei der Erstaufführung am 7. November war das Theater voll, aber auch am Tag danach war die Vorstellung ausverkauft.
Leider mussten wir bei einer Umfrage nach dieser Aufführung feststellen, dass es für die meisten Besucher die erste Begegnung mit Thomas Bernhard war. Menschen, die ins Theater kamen, gerade weil sie schon etwas von Bernhard und seinen Werken gehört haben, bildeten eine Minderheit. Uns interessierten Meinungen beider Gruppen zu dem gesehenen Stück. Deshalb warteten wir vor dem Theaterhaus auf die hinausströmenden Massen, und stellten einigen die entscheidende Frage: Wie hat Ihnen das Stück gefallen?
Und so lauteten die Antworten: "Es ist wunderschön!"; "Na ja, der Text ist sehr wichtig. Das Stück ist sehr statisch. Wenn man es nicht aufmerksam verfolgt, kann es langweilig werden."; "Man muss sich auf das Stück konzentrieren. Sonst ist es ganz gut!"; "Es ist ein wenig zu langsam. Hätte schneller sein können!"; "Mir gefallen solche Themen überhaupt nicht und der Text ist auch ziemlich schlecht. Das Original ist besser!"; "Es ist scheußlich! Ich habe noch nie etwas Schlechteres gesehen. Ich hätte während der Aufführung ein Nickerchen machen müssen!".
Unsere Gesprächspartner waren bereit, ausführlich über das Stück zu reden, wahrscheinlich weil sie noch unter dem Eindruck der Aufführung standen. Wir durften uns die Chance nicht entgehen lassen und stellten ihnen weitere Fragen: Was denken Sie über eine Adaptation des Stücks im Sinne der kroatischen Verhältnisse, unserer Geschichte und dieser Gesellschaft? Bernhard wirft der österreichischen Gesellschaft vor, nationalsozialistisch zu sein. Wie würden unsere Öffentlichkeit auf die Erwähnung von Jasenovac reagieren, dem Konzentrationslager, wo die von den Ustaschas gefangene Serben, Juden und Roma festgehalten wurden? Oder auf die Erwähnung von Serben, Heimatkrieg und Kriegsverbrecher?
Um die erhaltenen Antworten zusammenzufassen, sagen wir nur, dass viele in den Repliken aus dem Stück, wo der kleine Staat mit einem großen Misthaufen verglichen wird, in dem man nur zwischen den roten und schwarzen Schweinen wählen kann, wo der Bundeskanzler als unfähig charakterisiert wird - Kroatien erkannt haben. Über eine völlige Adaptation und Anpassung der Geschichte Kroatiens hatte sich niemand Gedanken gemacht. Einige waren mit dem Stück gar nicht einvestanden: "Nich alle Österreicher haben die Juden verfolgt, also übertreibt Bernhard gewaltig", oder: "Wenn das die österreichische Gesellschaft ist, dann bin ich Formel-1-Fahrer!".

Der kulturbewusste Zeitungsverkäufer

Beim Ausgehen blickten viele auf die ausgestellten Fotos und Manuskripte von Thomas Bernhard, und nun konnten wir sicher sein, dass ein kleiner Teil der Zagreber Bürger an den Thomas Bernhard-Tagen teilgenommen hat.
Doch uns interessierte viel mehr, ob diejenigen, die nicht ins Theater gehen, wussten, dass Zagreb im Zeichen von Thomas Bernhard stand. Wir befragten zufällige Passanten. Das Resultat war beschämend: Die meisten haben gesagt, dass sie niemals etwas über Thomas Bernhard gehört haben und sein Werk überhaupt nicht kennen. Nur eine einsame Seele, die wir bei der Arbeit erwischt haben, war darüber informiert, dass in Zagreb Veranstaltungen zu Bernhards Leben und Werk organisiert werden und sie konnte uns auch sagen, wer Bernhard war. Dieser überdurchschnittlich informierte Mensch war ein Zeitungsverkäufer; wir waren so frei zu vermuten, er habe während seiner Arbeitszeit die Tagespresse durchgeblättert.
Der nächste Schritt unserer Untersuchung war eine aufmerksame Verfolgung der Berichterstattungen in den Medien dieser Woche (5. - 11. November 2003), nicht um nach die Informationsquellen des kulturinteressierten Zeitungsverkäufers zu suchen, sondern um die Anteilnahme der Medien an diesem einmaligen Ereignis zu messen.
Kurz gesagt, es gab keine Zeitung, die nicht über Thomas Bernhard und "seine" Tage in Zagreb schrieb; aber sehen wir einmal was eine Leserin/ ein Leser ihnen wirklich entnehmen konnte.

Das Medien-Echo: zwischen ernster Kritik und Sensationalismus

Während man in einigen Blättern bloß Fakten aus Bernhards Lebenslauf zu lesen bekam, setzten die anderen den Schwerpunkt ihrer Berichte auf eine ausführliche Schilderung der Geschehnisse in Österreich unmittelbar vor und nach der Uraufführung von Heldenplatz, wobei man auch zur Übertreibung neigte. Es gab aber auch durchaus seriöse Theaterkritiken, dessen wichtigstes Anliegen die kroatische Premiere des Stücks und die Leistungen ihrer Urheber war.
Die Thomas Bernhard-Tage boten auch Anlass für anspruchsvolle Texte. Sibila Petlevski nützte das gestiegene Interesse am Autor und schrieb in ihrer Kolumne in der Literaturzeitung Vijenac (vom 13. November) eine