Thomas Bernhard-Tage in Zagreb |
EIN ÜBERBLICK ÜBER DIE THOMAS BERNHARD-TAGE IN ZAGREB
Auf den vorliegenden Seiten berichten Germanistikstudent/innen über die Thomas Bernhard-Tage in Zagreb. Es geht um die Resultate eines studentischen Projekts, dass im Rahmen des Literaturseminars Österreichische Dramatik seit 1988, unter der Leitung von Svjetlan Lacko Vidulić, durchgeführt wurde.
NIKOLAUS KINSKY - DER HELD AM PLATZ Im heutigen Informationszeitalter leben wir in einer Gesellschaft, für die Schnelligkeit und somit auch das Kurzfristige zum neuen Lebensgefühl geworden sind; in der die Menschen von allen Seiten durch medienreife Reality-Shows zugeschüttet werden und in der das Berühmt- und Reichsein zu den neuen Werten gehören. Doch trotz dieser Umstände gibt es auch weiterhin einige unter uns, die in sich die "veralteten" Werte tragen und die im gegenwärtigen Spektakel nicht verlorengegangen sind. Und so einer ist auch Nikolaus Kinsky. Das Ambiente eines Insider-Caffes im Inneren des Gavella Theaters, im Hintergrund die leise gespielte New-Age-Musik und die beständigen Requisiten des Schauspielhauses: eine ideale Kulisse für das Gespräch mit dem angenehmen und in keinem Fall überheblichen österreichischen Schauspieler, der gerade unsere Hauptstadt als Veranstaltungsort für die Thomas-Bernhard-Tage ausgewählt hat. Na dann, willkommen in Kroatien, dem Land der begrenzten Möglichkeiten! M&T: Wie kam es zu der Idee, die Thomas-Bernhard-Tage zu organisieren? KINSKY: Die Idee hat erstmal mit Thomas Bernhard nichts zu tun, sondern sie steht im Zusammenhang mit meiner Arbeit. Ich habe eine Organisation, die ETK Donadria, und eine Produktlinie: die Präsentation zeitgenössischer österreichischer Literatur außer Land. Unsere Projekte sind internationale Projekte, es sind immer Teilnehmer aus mehreren Ländern daran beteiligt. Das Ziel ist internationalen Kulturaustausch anzuregen. Und da ich vom Theater komme, ist der Schwerpunkt immer Theater, vor allem die Theaterinszenierung. Manchmal veranlassen wir auch, dass ein Stück übersetzt wird. Und dann gibt es ein begleitendes Programm, dass den Kontext herstellt und somit den Inhalt erläutert, aber auch den Autor darstellt. M&T: Gab es besondere Organisationsschwierigkeiten, da das ganze Projekt aus verschiedenen Veranstaltungen besteht? KINSKY: Sicherlich, eine erste Schwierigkeit bestand darin, dass man es hier nicht gewohnt ist, so eine umfassende Präsentation zu haben. Ich habe sehr lange im Theater gearbeitet, wobei wir versucht haben, die Interpretationen von Stücken dem Publikum näher zu bringen, und das kann nur durch Informationen erfolgen. Das war in meiner Theaterarbeit immer wichtig und das bin ich in der Lage anzubieten. Wenn die Leute das annehmen, ist es gut, und wenn nicht, dann ist es schade. Ich bin davon überzeugt, dass diese Art von Präsentation wichtig und gut ist. Präsentationen von Kultur, von Kunst, von kulturellen Inhalten, werden sich in der Zukunft sowieso verändern. Einerseits gibt es immer mehr Events, wo es nur um das Kurzfristige geht, um den Spektakel. Andererseits gibt es aber auch die Notwendigkeit Dinge zu machen, die nachhaltiger sind. Und gerade durch solche Projekte kann ich Nachhaltigkeit erzeugen. Das ist mir wichtig. M&T: Sind die Bernhard-Tage das erste Projekt in dieser Form oder haben Sie früher schon Ähnliches organisiert?
KINSKY: Ja, ich habe schon mehrere Projekte dieser Art gemacht. Unser letztes Projekt in Zagreb war ein Projekt mit Gerd Jonke. Es war allerdings eine ganz andere Situation, vor allem weil Jonke noch lebt und es möglich war, den Autor hierher zu bringen. Doch Jonke war sicherlich noch weniger bekannt als Bernhard und er gehört auch im deutschen Sprachraum nicht zu den Bekanntesten. Er ist zwar in den Insiderkreisen bekannt und er ist auch sicherlich einer der Besten, aber er ist nicht jemand wie Bernhard oder Turrini, die es verstanden haben, sich besser zu verkaufen. Deswegen war die Zielsetzung bei Jonke ein wenig anders als beim Bernhard-Projekt. Mit Jonke wäre ich nicht hergekommen, um eine Ausstellung zu machen, sondern mir war es wichtig den Autor zu bringen und den Kontakt mit der hiesigen Schriftstellerszene herzustellen. Aber es geht immer um die Theaterinszenierung. M&T: Sind solche Projekte typisch für die Arbeit der ETK Donadria? KINSKY: Ja, es steht in unseren Statuten, dass der Faktor der Internationalität gegeben sein muss, also: es müssen Teilnehmer aus mehreren Ländern am Projekt beteiligt sein. Wir verstehen uns als ein Laboratorium - es ist ein System, dass einen Schwerpunkt hat und um diesen Schwerpunkt bewegen sich andere Komponenten. Das Einbinden von Lernenden, also von Studenten, von Menschen, die Wissen aufnehmen und damit arbeiten wollen, ist auch ein wichtiger Aspekt. M&T: Und warum gerade Zagreb? Was ist an der Stadt so besonders, im Vergleich zu anderen kroatischen oder ex-jugoslawischen Städten?
KINSKY: Da kommen natürlich immer verschiedene Faktoren zusammen. Wenn man so ein Projekt organisiert, muss man auf bestehende Kontakte zurückgreifen können, um eine gewisse Sicherheit zu haben. Dadurch, dass ich hier schon was gemacht habe, dass ich den Direktor des Gavella Theater kenne und dass ich mit Željka Udovičić über viele Jahre zusammengearbeitet habe, hat sich das erstmal angeboten. M&T: Aber ist das Projekt nicht nur für einen kleinen Teil des kroatischen bzw. Zagreber Publikums gedacht?
KINSKY: Natürlich, aber man muss irgendwo anfangen. Und man muss erstmal dahin gehen, wo man eine Unterstützung bekommt. Wenn ich so ein Projekt mache, schaue ich, welches die wichtigsten dafür zuständigen Stellen sind, damit das, was wir machen, weitergetragen wird. Also Stellen, die sich damit beschäftigen. Da ist z. B. die Philosophische Fakultät für mich ein ganz wichtiger Anknüpfungspunkt, so wie es auch das Österreichische Kulturforum oder das Goethe-Institut sind. M&T: Was meinen sie, wie wird das kroatische Publikum Berhards "Heldenplatz" aufnehmen? Ob es die historischen Hintergründe des Stückes verstehen wird? KINSKY: Ich glaube, dass in dem Stück gewisse Reizworte oder Reizbegriffe enthalten sind, die sich auf Österreich beziehen, die aber vielen Leuten zugeordnet werden können. Auch hier würde ich auf die Nähe zwischen Zagreb und Wien hinweisen. Ich glaube, dass es auch in dieser Stadt gewisse gesellschaftliche Strukturen gibt, die denen von Wien sehr ähnlich sind. Deswegen ist es durchaus denkbar, dass das Publikum die Aussagen des Stückes auf ihre Situation übertragen und sich angesprochen fühlen werden. M&T: Wie haben Sie Bernhards testamentarische Verfügung aufgefasst, dass keine Stücke nach seinem Tod aufgeführt oder publiziert werden dürfen? Gab es Probleme?
KINSKY: Da muss ich etwas richtig stellen. Bernhard hat in seinem Testament festgehalten, dass er nicht möchte, dass seine Stücke in Österreich aufgeführt und seine Schriften publiziert werden. Das bezieht sich ausschließlich auf Österreich und auf österreichische Stellen im Ausland. Bernhards Bruder hat sich mit dem Nachlass beschäftigt und war zusammen mit dem Suhrkamp-Verlag der Meinung, dass man etwas unternehmen müsste, um zu vermeiden, dass Thomas Bernhard gewissermaßen tot geschwiegen wird, weil er es so wollte. Es wurde eine Einrichting geschaffen, sie heisst Thomas Bernhard Privatstiftung. Es ist eine Körperschaft, die zwischen dem Testament, dem letzten Willen Bernhards und dem österreichischem Staat bzw. den österreichischen Kultureinrichtungen steht. Seit der Gründung der Thomas Bernhard Privatstiftung ist es wieder möglich, Bernhard in Österreich aufzuführen, neu zu inszenieren und wieder Bücher zu publizieren. M&T: Und wie war es mit Ihren moralischen Ansichten hinsichtlich der testamentarischen Verfügung? KINSKY: Ich stehe dem Staat oder dem, was sich als Staat darstellt, auch der Gesellschaft sehr kritisch gegenüber. Aber wenn ich den Mund zumache, beziehe ich keine Stellung mehr. Ich finde, in dieser Richtung sollte man denken. Ob es nun richtig ist oder nicht, weiß ich nicht. Wenn Bernhard noch leben würde, hätte er es vielleicht verboten oder nicht gewollt, dass hier gerade dieses Stück aufgeführt wird, vielleicht hätte man mit ihm reden können - reine Spekulation. Es ist auch so, dass wir nicht versuchen das Stück so zu machen, wie es damals in Wien entstanden ist und präsentiert wurde, sondern wir versuchen es den hiesigen Gegebenheiten anzupassen. Es ist eine vollkommen neue Variante, der Versuch einer neuen Sichtweise. Wie gesagt, es spekuliert nicht mit dem Skandal, dieser lässt sich auch gar nicht herstellen. M&T: Zum Schluss etwas über die künftige Arbeit des ETK in Kroatien. Sind schon neue Projekte in Aussicht, Projekte, die dem kroatischen Publikum vielleicht mehr entsprechen? KINSKY: Es gibt die eine oder andere neue Projektidee, aber es wird sich letztendlich alles in dem genannten Bereich drehen. Denn alles andere können andere Institutionen besser. Was ich bewerkstellingen kann, das ist: Leute zu engagieren oder zu motiviern etwas zu tun, was sie in den etablierten Institutionen normalerweise nicht machen können. So wie ich dem Regiessur - dem ich nicht das zahlen kann, was er an anderen Häusern bekommt - etwas Neues bieten kann. In einen Kulturraum gehen, den du nicht kennst, mit einem Stück arbeiten, das sehr sensibel zu behandeln ist, mit Schauspielern arbeiten, mit denen man in ähnlicher Weise noch nie zu tun hatte. Wenn jemanden diese Erfahrung interessiert, dann ist es gut; wenn nicht, dann ist es sowieso die falsche Person. Man geht selbstverständlich Verpflichtungen ein, die Leute machen das ja nicht umsonst. Aber ein wichtiger Aspekt ist immer, dass die Teilnehmenden den Rahmen des Gewohnten übersteigen, Neuland entdecken, eine Herausforderung erleben.
GEGEN DAS VERGESSEN - EINE AUSSTELLUNG ÜBER LEBEN UND WERK THOMAS BERNHARDS
Das bekannte Zagreber Schauspielhaus Gavella öffnete die Türen seines attraktiven Atriums für eine Ausstellung über Leben und Werk Thomas Bernhards, eines österreichischen Autors, der sicherlich nur einem kleinem Teil des kroatischen Publikums bekannt war und noch immer ist. Er handelt sich um eine Ausstellung, die im Rahmen der Anfang November 2003 in Zagreb organisierten Thomas Bernhard-Tage stattfand und somit nur ein Teil des reichhaltigen Begleitprogramms darstellte.
PROVOKATION IM BERNHARDSCHEN SINN Im Rahmen der Thomas-Bernhard-Tage in Zagreb fand vom Freitag bis Samstag, 7.-8. November, im Goethe-Institut ein zweitägiges Symposion zum Thema Thomas Bernhard - Dichter und Polemiker statt. Am Samstag Vormittag habe ich mit Frau Dunja Dragojević-Kersten, der Dramaturgin und Assistentin des Regisseurs David Mouchtar Samorai gesprochen. Obwohl Frau Dragojević-Kersten nicht nur sehr erschöpft wegen der kroatischsprachigen Erstaufführung von Bernhards Heldenplatz im Gavella Theater am Vorabend war, sondern auch zusammen mit dem Hauptdarsteller Ivica Vidović am Symposion aktiv teilnahm, hat sie sich Zeit genommen und unseren Wünschen, etwas mehr über die Inszenierung zu erfahren, freundlich entgegengekommen. Am Anfang unseres Gesprächs äußert sie sich über die Premiere: - Es ist immer so schwer, etwas Vernünftiges zu sagen, weil alle immer so wahnsinnig aufgeregt und nervös sind. Vor allem hoffen wir, dass alles glatt und reibungslos laufen wird. Ich habe mir lange überlegt, ob ich die Premiere überhaupt anschauen werde oder nicht, und dann bin ich hingegangen und habe alles gesehen. Ich denke, dass das, was wir gestern gemacht haben, gut ist. Das ist wie eine der besten Proben, die wir gemacht haben. Welche Schritte müssen unternommen werden, um aus einer Textvorlage eine Inszenierung zu machen, und wie sah das konkret in diesem Fall aus?
- Das ist sehr unterschiedlich. Meine Freunde fragten mich oft halb ernst, halb scherzhaft: Sag mal, was überhaupt eine Dramaturgin? Das hab´ ich nie verstanden. Die Aufgabe eines Dramaturgen variiert von Stück zu Stück, von Produktion zur Produktion, weil es eben manchmal auch Texte gibt, die so auf die Bühne gebracht werden, wie sie geschrieben sind. Es ist einfach, wenn man ganz wenige Eingriffe im Text macht, wenn man den Text den Schauspielern sozusagen schenkt und sagt: Macht mit dem Text, was immer ihr wollt, oder wenn der Regisseur sagt: Nein, nicht berühren, ich lass' das so, wie es ist, weil mir das wichtig ist. Sowohl Sie als auch alle Schauspieler haben gesagt, Heldenplatz sei ein kaltes Stück. Im Gegensatz dazu versuchte der Regisseur den Text als eine musikalische Partitur, jedes Wort als Note zu übertragen.
- Das ist schon Bernhards Stil: kalt, intelektuell, sprachlich beladen und sehr komplex. Die Sprache ist schon ziemlich hart, und es gibt auch diese Übertreibung als künstlerisches Prinzip bei Berhard. Damit muss man sich erstmal anfreunden. Das ist etwas, was nicht jedermans Sache ist. Man muss den Hintergrung gut kennen, theoretisch-wissenschaftliche Kenntnisse haben, sich damit ein bisschen länger beschäftigen, um alles verstehen zu können. Das war den Schauspielern sehr schwer, weil sie diesen Hintergrung nicht kannten. Sie können nicht über jeden Autor, den sie spielen, alles wissen und literaturwissenschaftlich recherchieren. Deshalb gehört es zum Dramaturgenjob, dass man den Schauspielern den Autor etwas näher bringt. INTERKULTURELLE DIMENSION Der umfangreiche Dramentext ist gekürzt worden. Ist damit die ursprüngliche Idee des Autors, durch die Länge des Werkes den Rezipienten zu provozieren und ihm das Lesen unbequem zu machen, verlorengegangen?
- Ich bin kein Freund dieser Literaturkritik, die sehr streng anordnet oder Befehle erteilt, wie man einen Autor oder einen Text interpretieren soll. Meiner Meinung nach gibt es nicht nur eine Interpretation, und ich glaube, das ist auch der Stand der Literaturkritik heutzutage. Man könnte natürlich immer Bernhard fragen, warum er das geschrieben hat, welche Intention er dabei hatte. Ich kenne sehr viele Autoren, und ich habe sehr viele Interviews geführt - ich kann Ihnen sagen, die sind alergisch auf diese Fragen, weil sie einfach sagen: Lesen Sie das Stück, und lesen Sie daraus, was Sie lesen möchten oder können. Was die Rollenverteilung anbelangt, wie sah die Zusammenarbeit aus? - Ganz normal. David kam nach Kroatien, hat sich das Stück angeschaut, er hat mehrere Schauspieler vom Gavella Theater gesehen, und dann hat er gesagt: Ich möchte diesen und diesen Schauspieler für diese Rolle. Mit den Schauspielern, die englisch können, hat David ohne mich gearbeitet und hat ihnen direkt gesagt, was sie machen sollen. Es gab Schauspieler, die kein englisch und kein deutsch konnten, so auch Ivica Vidović. Das ist schade, weil er eine so große Rolle hat (Robert Schuster). Da habe ich übersetzt. Dadurch, dass ich Dramaturgin und Regieassistentin bin, wusste ich ganz genau, was David will; nicht nur, wie ich das transponieren und übersetzten soll, sondern auch, wie ich Ivica oder andere Schauspieler dazu bringen kann, dass sie ihm geben oder zeigen, was er sehen wollte. Apropos Zusammenarbeit, gab es irgendwelche Schwierigkeiten, und zwar nicht nur rein sprachliche Missverständnisse? Das Team besteht doch aus Künstlern verschiedener Nationalitäten. - Das war meiner Meinung nach überhaupt kein Problem. Da David kein Kroate ist, und da er sowieso ein multikulti-Typ an sich ist, war alles spannend und interessant. Theaterleute sind sozusagen eine eigene Kaste. Das ist gerade das Schöne und Faszinierende an der Arbeit im Theater, dass man ganz viel aus dem Bauch herausmachen kann, dass man nicht viel intelektualisieren muss, sondern es geht um die Körpersprache, Emotion und Gestik, die da zu sehen sind. Alle diese Leute, die in diese Vorstellung gestern aus Österreich oder Ungarn gekommen sind, haben alles gesehen und verstanden, ohne dass sie ein Wort kroatisch können. DIE AUFGABE DER KULTUR Eine andere Dimension dieser interkulturellen Integration wäre eine Adaptation, eine Umsetzung also in den kroatischen Kontext. Wofür könnte der Wiener Heldenplatz, als Symbol für die österreichische Geschichte, stehen? - Wir haben das bewusst nicht gemacht. Es würde nicht funktionieren, wenn wir dieses Stück in Kroatien lokalisieren würden. Das ist eine aufregende Sache - Heldenplatz für Jelačić-Platz ist natürlich naheliegend, aber ob das ganz richtig wäre, und ob das funktionieren würde, das kann man leider nicht sagen. Doch, wenn man so wirklich schwarz-weiß denken würde: Heldenplatz ist Jelačić-Platz, Hitler ist Pavelić, das Burgtheater ist das Kroatische Nationaltheater (HNK). Das stimmt aber nicht, weil HNK eine andere Tradition hat. Und es gibt nicht den gleichen Hintergrund. - Richtig. Und dieser Satz im Text: Im Burgtheater spielt man auch heute schlecht würde überhaupt nicht funktionieren. Die Leute würden nicht verstehen, was dahinter steckt, weil der Text im Aufrag vom Burgtheater geschrieben wurde. Und das gibt dem Ganzen einen zusätzlichen Witz. Inwiefern kann die dramaturgische Gestaltung eines Dramas die Problematik des Stückes von mehreren Aspekten aus beleuchten und dadurch eine vertiefende Beschäftigung anregen? - Wir reden jetzt von unterschiedlichen Medien. Wenn wir ein Drama lesen, dann haben wir alle Möglichkeiten der Welt, diesen Text auszulegen und zu interpretieren. Wenn Sie im Theater arbeiten, dann bekommen Sie ein paar Dimensionen mehr, verlieren aber wahnsinnig viel an Fantasie, weil Sie schon jemandem eine Interpretation anbieten. In diesem Sinne kann man sagen, dass jede Vorstellung eine Akzentuierung des Stückes ist. Da kann man nicht von einer falschen Akzentuierung reden, weil wir nicht Theater- oder Literaturgötter sind, die sagen könnten, was richtig oder falsch ist. Das ist jetzt ein Angebot, wie wir dieses Stück gelesen haben, wie man dieses Stück lesen kann. Jemandem kann es gefallen, dem anderen wird es nicht gefallen, was auch gut ist. Es entsteht ein kultureller Dialog und das meiner Meinung nach die Aufgabe der Kultur überhaupt. HELDENPLATZ ALS FAMILIENTRAGÖDIE In welchem Maße unterscheidet sich die Aufführung in Kroatien vom Heldenplatz in anderen Ländern? - Wenn ich mich nicht täusche, sind wir die Vierten überhaupt. Ich glaube, es gibt nur noch drei Heldenplätze. Ich kenne nicht alle drei, aber es ist auf jeden Fall so, dass alle drei Vorstellungen etwas ganz anderes als unsere waren, da bin ich mir sicher. Vielleicht waren sie dieser Kälte Thomas Bernhards mehr treu als unser Stück. Wir haben das auch radikal gestrichen und die Reihenfolge der Szenen gemischt. Dadurch haben wir eine ganz andere Vorstellung bekommen. Unterschiedlich ist auch diese Familientragödie, was immer wieder betont wird. Viele Leute reagieren ganz aufgeregt auf diesen Begriff und sagen: Um Gottes Willen, Heldenplatz ist doch keine Familientragödie! Das kann man nicht belegen. Ich denke, wir haben gezeigt, dass man es auch so auslegen kann. Warum denn nicht? Gut, man könnte sagen, das sei eine menschliche Tragödie, nicht nur Familientragödie, das ist aber nur Provokation im Bernhardschen Sinne. Heldenplatz wurde zum ersten Mal im November 1988 aufgeführt. Die Rezeptionsgeschichte rund um die Uraufführung ist bekannt... - Man kennt also die ganze Geschichte: Der Text, beziehungsweise Ausschnitte aus dem Text sind illegal veröffentlicht worden. Die Tatsache, dass es zu einem politischen Skandal gekommen ist, dass prominente Politiker verlangt haben, dass Thomas Berhard aus dem Land rausgeschmissen wird, ist beängstigend. Nicht die Tatsache, dass Thomas Berhard schreibt, in Wien gebe es heute mehr Nazis als 1938. Man kann sagen, er sei der alte Zyniker, der übertreibt; er ist einfach ein großer Kulturpessimist, den man nicht ernstnimmt. Die Tatsache, dass Leute, und zwar nicht nur rechtsorientierte wie Haider, sondern sogar Sozialdemokraten, die eigentlich sehr liberal und sehr freidenkend sein sollten, verlangt haben, dass die Premiere aus dem Repertoire des Burgtheaters gestrichen wird, empfinde ich als den wahren Skandal. Das beweist, dass Thomas Bernhard leider vielleicht doch nicht nur übertrieben hat, wie wir meinen, oder wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
EIN LEERER RAUM FÜR BERNHARDS HELDENPLATZ Die Aufführung von Thomas Bernhards Heldenplatz im Gavella Theater hat mit seinem ungewöhnlichen Szenenbild für Wirkung beim Publikum gesorgt. In einem Gespräch mit dem Szenografen Hans Georg Schäfer wollten wir Einblick in die Ideen und Motive gewinnen, die er im Bezug auf die Inszenierung gehabt hat, aber auch in Einzelheiten der Realisierung. Welche Schritte liegen zwischen dem Inszenierungskonzept und seiner Umsetzung auf der Bühne?
Ich wohne in derselben Stadt wie der Regisseur Samorai - in Bonn, so dass wir häufig Gelegenheit haben, einander zu treffen. Schon zu Weihnachten 2002, also vor elf Monaten haben wir zum ersten Mal über den Heldenplatz gesprochen. Natürlich fangen wir mit dem Gespräch an, nachdem wir das Stück beide gelesen haben und es relativ gut kennen, als Dramentext. Bei mir war es so, das ich verhältnismäßig viel Thomas Bernhard gelesen habe: andere Texte, andere Stücke. Ich bin ein großer Liebhaber dieses Autors, er war mir in seiner Thematik schon bekannt. So viel es mir leicht, mit Samorai über das Stück zu diskutieren. Wie groß ist der Einfluss des Regisseurs auf Ihre Vorstellungen? Kommen Sie mit einem autonomen Bild, oder schlägt es der Regisseur vor? Wie lief die Zusammenarbeit bei dieser Aufführung?
Ich kenne den Regisseur schon viele Jahre, aber ich habe nie mit ihm gearbeitet. Wenn man am Anfang einer Arbeit steht, dann muss man erst eine Begriffsklarung machen - jeder Mensch hat andere Empfindung, einen anderen Sinn für Musik, Ästhetik, Humor; so muss man erstmal durch viele Gespräche eine gemeinsame Sprache finden. Ich baue immer genaue Maketten im Maßstab 1:20, da kann man dann sagen: "Schau mal, so, wie es an diesem Modell ist, so sehe ich es. Findest du das gut oder nicht? So ist die Farbe, so der Stuhl..." Ich baue jedes Detail im Modell ganz genau nach, und so kommen wir schneller zu einem gemeinsamen Ziel. Dann kann er auch sagen: "Nein, das ist nicht gut." Oder, ich habe eine Idee, aber im Modell sehe ich, dass es nicht gut ist und dann uberlege ich mir eine neue. Spater rufe ich ihn an und sage: "Ich habe etwas Neues gemacht, komm und schau dir das an." Und dann diskutieren wir es wieder, so dass er auch eigene Vorschläge gibt. Haben auch die Schauspieler Einfluss auf das Aussehen der Szene? Auf das Aussehen der Szene haben sie wenig Einfluss. Das Kostüm soll den Charakter des Schauspielers darstellen, oder den Charakter, den wir im Stück von dieser Rolle erwarten. Wie der Schauspieler aussieht, das müssen wir mit dem Kostüm verstärken; nicht irgendein Phantasiekostum machen und sagen: "Zieh du das an, und so musst du das spielen" - das wäre Unsinn. Ich muss im Kostüm den Charakter entwickeln - für die Rolle, mit dem Schauspieler. Natürlich kann es passieren, dass wir szenisch was ändern: Der alte Mann mit dem Stock (Robert Schuster), der plötzlich hinfällt - das war nicht im Text, das war eine spontane Erfindung. Das sind Klenigkeiten, aber sie beeinflüssen auch die Szene. Gab es bei anderen Aufführungen von Heldenplatz schon Modelle für das Aussehen der Szene bei dieser Inzenierung? Haben sie sich dieser Modelle bedient?
Das Stück wurde in Wien uraufgeführt, und es war ein riesiger politischer Skandal. Erst zehn Jahre später wurde es in Frankfurt am Main und einmal in Paris aufgeführt. Bei der Aufführung in Paris war es so, dass der Verleger, oder der, der jetzt die Rechte hat an den Stücken von Thomas Bernhard, es verboten hatte, weil er mit dieser Auffuhrung sehr unzufrieden war. In welchem Maße haben Sie sich also der textuellen Vorlage bedient? Davon habe ich gar nichts benutzt. Man weiß sowieso nicht, wie der Park vor dem Burgtheater aussieht. Da sind die Schauspieler, sie unterhalten sich, laufen im Park herum... und man muss dafür einen ästhetischen Raum finden. Die Frau, die bügelt, braucht ein Bügelbrett. Das klingt sehr einfach, aber wir müssen genau wissen, was wir alles brauchen, wie wir es mit dem Licht machen... Wir haben sehr viel mit dem Licht gemacht, aber der Zuschauer soll das nicht merken. Gab es Probleme mit den Materialien oder mit dem Geld?
Nein, überhaupt nicht. Ich mache diesen Beruf schon seit vielen Jahren. Hier in Gavella gibt es einen wunderbaren technischen Leiter; ich verstehe mich wunderbar mit ihm und alles was ich wollte, konnte man hier auch realisieren. Theater im Theater - das ist eine interessante Dimension des Stückes. Doch in Ihrem Bühnenbild sieht man überhaupt nicht, dass da ein Theater - das Burgtheater - auf der Bühne sichtbar wird.
Das war auch meine Intention! Hier ist es nicht so wichtig. Das Burgtheater ist ein Nationaltheater, wenn also ein Österreicher etwas Böses sagt über das Burgtheater, beleidigt er die Nation. Wenn ich etwas Böses sage über Gavella, dann beleidige ich gar niemanden in Kroatien - das ist meine Privatmeinung - ein Kroate fühlt sich nicht persönlich beleidigt. Ich muss hier also nicht das Burgtheater auf der Bühne zeigen, weil der Begriff des Burgtheaters fur einen Kroaten gar kein Begriff ist. Es ist nicht meine Arbeit, hier ein Kommentar über eine inhaltliche Sache zu geben, die man nicht verstehen wurde.
THOMAS BERNHARDS HELDENPLATZ - AUS DER SCHAUSPIELERPERSPEKTIVE Bereits in der vorigen Theater-Saison (2002/03) kam der Vorschlag von ETK Donadria aus Wien (Europäisches Theater- und Kulturzentrum) an das Zagreber Gavella Theater, das Stück Heldenplatz von Thomas Bernhard zu inszenieren. Der Regisseur David Mouchtar Samorai kam regelmäßig nach Zagreb, sah einige Theatervorstellungen und Videoaufnahmen, und nach ein paar individuellen Gesprächen mit Schauspielern hatte er über die Verteilung der Rollen entschieden. Wir haben mit zwei Schauspielern des Gavella Theaters über die Vorstellung und die Arbeit mit dem Regisseur Samorai gesprochen, sowie darüber, wie sie das Stück Heldenplatz und den Schriftsteller Thomas Bernhard erlebt haben. Die ersten Eindrücke
Nachdem sie den Originaltext zum ersten Mal gelesen hatten, waren die Schauspieler Ksenija Pajić (Anna Schuster) und Sreten Mokrović (Herr Landauer) nicht besonders beeindruckt: Die Arbeit mit David Samorai
Im Juni wurden die Rollen verteilt und Ende August hatten die Proben begonnen. Es seien keine üblichen Proben gewesen, stimmen Ksenija und Sreten zu. Sie hätten sehr lange gedauert und seien sehr anstrengend gewesen. Normalerweise würden die Proben im Gavella-Theater von 10 bis 14 Uhr dauern, aber diese seien noch länger und intensiver gewesen (tägliche Proben). David sei ein sehr präziser Regisseur und Heldenplatz ein wirklich anspruchsvoller Text. Über die Zusammenarbeit mit David Samorai haben die beiden allerdings nur gute Worte: Familientragödie oder politisches Stück?
Bernhard ist kein gewöhnlicher Autor und seine Texte haben immer für einen großen Wirbel gesorgt, besonders in Österreich. Wir wollten wissen, ob den Schauspielern die dargelegten Behauptungen über Schauspieler und Theater im Heldenplatz stören, z. B. diese von Professor Robert: Schauspielerinnen Tänzerinen das ist doch nichts... Das Theater war doch immer nur ekelhafte Wichtigtuerei... Bernhard als Inspiration
Als eine weitere Besonderheit des Textes hebt die Schauspielerin Bernhards Sprache hervor: "Seine Poetik gefällt mir sehr. Die Sprache an sich ist ziemlich kompliziert. Wir hatten uns mit der Sprache intensiv beschäftigt. Sie wissen, wie Bernhard geschrieben hatte, ohne Interpunktion. Eigentlich hat seine Sprache einen besonderen Rhythmus, vergleichbar mit Versen, und darauf beharrte auch David. Am Anfang klang das ein bisschen ungewöhnlich, künstlich, aber später ist dies ganz normal geworden und klingt, wie mir scheint, natürlich. Es freut mich, dass es uns gelungen ist, Bernhards Schreibweise auf der Bühne darzustellen. Die Gespräche wurden am 21. November 2003 geführt.
Ksenija Pajić, kroatische Schauspielerin, geboren 1961 in Rijeka. Seit über 20 Jahren als Schauspielerin tätig. Im Theater Gavella in Zagreb spielt sie seit 1987. "Leda", 1987; "The importance of beeing Earnest", 1993 (für die Rolle der Gwendolen Fairfax hat sie 1994 den wichtigsten kroatischen Theaterpreis Nagrada hrvatskog glumišta bekommen); "Krach in Chiozza", 1996; "Ein Monat auf dem Lande", 1998; "Ach, Nora, Nora", 1999; "Kako sam naučila voziti" ("Wie ich fahren gelernt habe"), 2000; "Heldenplatz", 2003, sind nur einige von vielen Theatervorstellungen, in denen sie gespielt hat. Sie hat auch in vielen Filmen gespielt: "Oficir s ružom" ("Offizier mit Rose), 1987 - für die Rolle in diesem Film wurde ihr ein Preis beim Filmfestival in Venedig verliehen; "Maršal"("Marschall"), 1999; "Garcia", 1998; "Ledina" ("Brachland"), 2002, vorgestellt auf der Berlinale 2003. Sreten Mokrović, kroatischer Schauspieler, geboren 1957 in Zagreb. Seit 1984 ist er Mitglied des Zagreber Theaters Gavella. Als einer der engagiersten kroatischen Schauspieler hat er in vielen Filmen und Theatervorstellungen gespielt. Filmrollen: "Daj što daš" ("Whatever you can spare"), 1979; "The Forgotten" (US-Produktion) 1989; "Treća žena" ("Dritte Frau"), 1997; "Četverored" ("Viererreihe"), 1999; "Jel jasno prijatelju?" ("Ist das klar, Freund?"), 2000. Theaterrollen: "Ein Monat auf dem Lande", 1998 (für die Rolle von Boljschnitzow wurde ihm 1998 der wichtigste kroatische Theaterpreis Nagrada hrvatskog glumišta verliehen); "All In The Timing", 2000; "Bahke", 2000; "Antigona in New York", 2002; "Heldenplatz", 2003.
BERNHARD IN DER STADT. DIE REZEPTION DER THOMAS BERNHARD-TAGE IN ZAGREB
Ein regelrechter kultureller Angriff wurde vom 6. bis 8. November 2003 auf Zagreb verübt, unter dem Motto: Lernen Sie Thomas Bernhard kennen! In diesen drei Tagen wurde eine Lesung aus seinen Werken veranstaltet, eine Ausstellung im Foyer des Gavella Theaters Publikum eröffnet, ein internationales Symposion im Goethe-Institut organisiert, mit dem Ziel, Forscher, Kenner und Verehrer Bernhards zu versammeln, um ihnen die Möglichkeit zu geben, über die Besonderheiten seiner Werke zu diskutieren und seine Bedeutung für den europäischen Kulturkreis zu bestätigen. Der Höhepunkt dieser Veranstaltungsreihe, die den schlichten Titel "Thomas Bernhard-Tage in Zagreb" trug, war die Premiere des Dramas Heldenplatz (Trg heroja) im Gavella Theater. Das Stück wurde vor kurzem von Sead Muhamedagić ins Kroatische übersetzt und wird bald auch in Buchform erscheinen. Es war wunderschön, doch es kann langweilig werden
Die kroatische Premiere des Dramas Heldenplatz, das bei der österreichischen Uraufführung 1988 einen riesigen Skandal ausgelöst hatte, hat erwartungsgemäß das größte Interesse geweckt. Bei der Erstaufführung am 7. November war das Theater voll, aber auch am Tag danach war die Vorstellung ausverkauft. Der kulturbewusste Zeitungsverkäufer
Beim Ausgehen blickten viele auf die ausgestellten Fotos und Manuskripte von Thomas Bernhard, und nun konnten wir sicher sein, dass ein kleiner Teil der Zagreber Bürger an den Thomas Bernhard-Tagen teilgenommen hat. Das Medien-Echo: zwischen ernster Kritik und Sensationalismus
Während man in einigen Blättern bloß Fakten aus Bernhards Lebenslauf zu lesen bekam, setzten die anderen den Schwerpunkt ihrer Berichte auf eine ausführliche Schilderung der Geschehnisse in Österreich unmittelbar vor und nach der Uraufführung von Heldenplatz, wobei man auch zur Übertreibung neigte. Es gab aber auch durchaus seriöse Theaterkritiken, dessen wichtigstes Anliegen die kroatische Premiere des Stücks und die Leistungen ihrer Urheber war. |